Der Briefwechsel Thomas Bernhard/Siegfried Unseld
diese genial und wirksam, und dies ist auch Ihr Leben. Eine Sperre würde das Gegenteil bewirken: Ihre Leser würden betroffen sein, Ihre Feinde würden nur triumphieren. Man würde das nicht mehr verstehen, im nachhinein sogar unsere Haltung, die zur Sperre führte, für einen Gag halten. Kurzum, wir beide würden uns einer weltweit erschallenden Lächerlichkeit aussetzen. 5
Meine Aufgabe ist die der »Vervielfältigung und Verbreitung«. Sie brauchen sich Reaktionen nicht auszusetzen, wenn Sie dies nicht wünschen. Vielleicht wäre es in der Tat das beste, Sie würden nach der Auslieferung des Buches im August für einige Wochen auf eine Weltreise gehen. Wir könnten uns z. B. in New York treffen oder Ende Oktober in Tokio, 6 oder ich könnte meine Rückreise anders einrichten, um Sie dann in Hawaii zu sehen. 7
Herzliche Grüße
Ihr
Siegfried Unseld
P. S.: Wir werden uns sicher am 18. August, wo auch immer, mit meiner vollen Tasche sehen – und ich möchte dann auch mit Ihnen über das Stück »Einfach kompliziert« sprechen. 8
1 S. U. bezieht sich auf das Auslieferungsverbot der Bücher von Th. B. nach Österreich 1984 (siehe Anm. 5 zu Brief 472). Auf dem im Nachlaß erhaltenen Original unterstreicht Th. B. »in die Öffentlichkeit hinein« und setzt daneben ein Fragezeichen.
2 Th. B. unterstreicht diesen Satz und vermerkt darunter »erpresserisch«.
3 Th. B. markiert den gesamten Absatz mit einer Wellenlinie und einem Fragezeichen, an den linken Rand schreibt er »dumm«.
4 Th. B. kommentiert diesen Absatz mit »gemein«.
5 Th. B. markiert diesen Absatz durch Einkreisung und merkt darunter an: »genau umgekehrt«; an den linken Rand setzt er abermals »dumm«.
6 S. U. besucht vom 20. Oktober bis 3. November Tokio und Kioto.
7 Th. B. kommentiert diesen Absatz am linken Rand mit »heuchlerisch«.
8 S. U. vermerkt in der Chronik unter dem Datum des 7. August 1985:
»Nun trifft auch der zweite Brief von Thomas Bernhard ein, in dem er mir ›mit aller Deutlichkeit‹ sagt, ›daß ich ein Ausliefern nach Österreich unter keinen Umständen wünsche. Das betrifft nicht nur die «Alten Meister», sondern sämtliche meiner erschienenen Bücher. Ich bekräftige also meinen Entschluß des Vorjahres mit dem ganzen Ernst meiner Situation.‹ Der 2. Brief, so meint er, verstärke noch sein Verbot. Ich antworte ihm unter dem 7. August und erkläre, warum ich mich diesmal nicht an seine Seite stellen könnte. Kommt hier ein dramatischer Konflikt auf? Man muß abwarten.«
Und am 9. August heißt es: »Wie wird Bernhard auf meinen Brief reagieren?«
Die Reaktion von Th. B. ist in einer Telefonnotiz Burgel Zeehs vom 12. August 1985 festgehalten:
»8.50 h: Ich rief Bernhard an, der gleich sagte, ER habe doch anrufen wollen! Er habe drei Briefe geschrieben, jeder einzelne sei blöd und so pathetisch gewesen wie Ihr Brief. Nun sei er über den Berg: alles bleibt so, wie es ist! Auf meine Frage: wie ist der Stand, meinte er: na ja, so wie es der Doktor geschrieben hat, ich bin mit allem einverstanden, es kann ausgeliefert werden.
Telefonieren will er allerdings nicht mit Ihnen, er möchte Sie sehen: So habe ich mit ihm ausgemacht:
Sonntag, 18. August, vormittags in Ohlsdorf. […]«
Im Nachlaß haben sich die drei von Th. B. erwähnten Versionen des nicht abgeschickten Antwortbriefs erhalten (NLTB, B 614/1/2), alle tragen das Datum des 9. August 1985. Die erste, längere, umfaßt zwei stark korrigierte und nicht ins reine geschriebene Blätter, ist nicht unterschrieben und dürfte daher der erste Entwurf einer Antwort sein:
»Lieber Doktor Unseld,
Ihr Brief vom 7. August ist von einem so deprimierenden Unverständnis, meine Lage betreffend, diktiert, dass ich gar nicht glauben kann, dass er an mich adressiert ist und um es gleich ganz deutlich zu sagen, schrieben Sie diesen in Ton und Inhalt unser Verhältnis aufs schwerste schädigenden Brief an einen Thomas Bernhard, den es nicht gibt. Ihren Brief, der an einen Autor gerichtet ist, der ich niemals bin und auch niemals sein werde, muss ich gleichwohl als der Thomas Bernhard, der ich tatsächlich bin, beantworten.
Um es so kurz als möglich zu machen: ich habe Ihnen meinen Wunsch, dass ich keines meiner in Ihrem Verlag erschienenen Bücher mehr nach Österreich ausgeliefert haben will und auch keine Rezensionsexemplare mehr nach Österreich geschickt haben will, in zwei aufeinanderfolgenden Briefen klar
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