Der Briefwechsel Thomas Bernhard/Siegfried Unseld
nehme an, dass Sie meinen Wunsch nach vollkommener Absenz meiner literarischen Veröffentlichungen in Österreich erfüllen werden und ich bitte Sie, auch dafür Sorge zu tragen, dass meine unter dem Namen Thomas Bernhard in Ihrem Verlag herausgekommenen Schriften auch nicht durch irgendwelche Schlupflöcher nach Österreich gelangen.
Ich hoffe sehr, wir sehen uns innerhalb der nächsten zwei Wochen.
Herzlich Ihr
Thomas Bernhard
[484; Anschrift: Wien]
Frankfurt am Main
7. August 1985
Lieber Thomas Bernhard,
Frau Zeeh hat Sie am Telefon nicht erreicht, und vielleicht ist es auch gut, wenn ich mich schriftlich zu Ihrem Brief vom 1. August äußere.
Wir hatten uns bei unserem vorletzten Treffen im »Frankfurter Hof« geeinigt, mit der Auslieferung des neuen Buches »Alte Meister« die Liefersperre aufzuheben. Das hatte seinen guten Grund: in Ihrem neuen Buch greifen Sie Ihre Landsleute härter und unbarmherziger an als in allen vorangehenden Texten. Es schien uns beiden »unfair«, eine solche Kritik zu schreiben, sie aber theoretisch denen, auf die sie bezogen ist, zu verweigern oder gar zu verheimlichen. An dieser Ansicht hat sich bei mir auch bis heute nichts geändert. Sie wissen, wie sehr ich bei Ihrem ersten Wunsch auch in der Öffentlichkeit an Ihrer Seite war und Ihre Haltung nicht nur voll verstanden, sondern sie auch nach außen hin, in die Öffentlichkeit hinein, 1 vertreten habe. Dies auch mit der Inkonsequenz, die meine Liefersperre enthielt, nämlich daß die Buchhandlungen sich die Bücher durch deutsche Grossisten besorgen können, denn bei uns gilt ja als wichtiges Prinzip, an dem wir alle festhalten müssen, der free flow of books; wo er beeinträchtigt ist, sind immer Diktaturen am Werke, und das wollen wir verhindern. Ich habe in den letzten Wochen mehrfach mit österreichischen Buchhändlern gesprochen und ihnen aufgrund unseres damaligen Gesprächs im »Frankfurter Hof« mitgeteilt, daß der Verlag die Sperre aufheben werde. Sie selber haben ja in ganz ähnlicher Weise mit Herrn Heidrich gesprochen, der nach dem Gespräch mit Ihnen sofort Verbindung mit Herrn Dr. Berger aufnahm, der seinerseits nun wieder nach diesem Gespräch mit Herrn Heidrich bei mir vorstellig wurde.
Die österreichischen Buchhändler haben beim Besuch des Suhrkamp-Vertreters nach unserem Gespräch im »Frankfurter Hof« das neue Buch »Alte Meister« bestellt, der Vertreter hat diese Aufträge entgegengenommen, und also besteht eine Lieferverpflichtung. Außerdem laufen Anzeigen-Aufträge bei Zeitungen, die jetzt nicht mehr zurückgehalten werden können.
Sie wissen, wie sehr ich mich auf Ihren Wunsch hin eingesetzt habe, die Prozesse zu vermeiden. Ich habe mehr als DM 50.000.— an Kosten dafür bezahlt, und immer noch trudeln von diesen merkwürdigen Anwälten Rechnungen ein. 2
Wir haben für die Öffentlichkeit erreicht, was wir wollten, der österreichische Staat hat den Fehler eingesehen und die Beschlagnahme zurückgezogen, die Gegenparteien haben ihre Klagen gegen uns zurückgenommen. In der Öffentlichkeit stehen wir jetzt überzeugend da, dieselbe Öffentlichkeit aber würde nicht mehr auf unserer Seite stehen, wenn die »Alten Meister« veröffentlicht sind, in Österreich jedoch nur über Umwege zu erhalten wären. Das würde nicht nur ein materieller Schaden sein, der sich nicht nur auf Ihre Bücher erstreckte, sondern auch auf die Haltung des Suhrkamp Verlages insgesamt. Das wäre aber nur die eine Seite. Die andere wäre das große Unverständnis, das man dieser Haltung gegenüber zum Ausdruck brächte und das in den Medien Folgen hätte, die Sie sich bestimmt nicht wünschen. 3
Schon Ihre Haltung in der Theaterfrage ist zwar für Sie plausibel, sich hier an den Deutschen Peymann zu halten und zu binden, aber natürlich nicht für die Öffentlichkeit. Die sieht in der Aufführung in Salzburg nicht die Bindung an Peymann, sondern eher eine Anlehnung an die vom österreichischen Staat ja ausschließlich subventionierten Festspiele, deren moralischer Ruf in kulturellen Kreisen ja nicht sehr hoch steht. 4
Lieber Thomas Bernhard, Sie schreiben mir, daß Sie »mit diesem Staat tatsächlich nichts mehr zu tun haben wollen«. Ich verstehe das: mit dem Staat nichts mehr zu tun haben wollen, aber Ihren Lesern, einem im letzten Jahrzehnt gewaltig gewachsenen Leserkreis, die Bücher vorzuenthalten, das ist eine ganz andere Sache. Sie sind Schriftsteller. Ihre Waffe ist die Feder, und Sie gebrauchen
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