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Der Briefwechsel Thomas Bernhard/Siegfried Unseld

Der Briefwechsel Thomas Bernhard/Siegfried Unseld

Titel: Der Briefwechsel Thomas Bernhard/Siegfried Unseld Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Raimund Fellinger
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hinfällig. Es war ein ausgesprochenes Tief. Doch er lenkte ein, da der Strich mit einem Kugelschreiber gemacht wurde, also nicht zu radieren war, vermerkten wir, daß er nicht gelte. Später schrieben wir die Seite neu aus und unterschrieben noch einmal. Er war sehr getroffen wegen dieser Vertragsdinge.
Am Morgen fand ich in der dtv-Produktion Thomas Bernhard ›An der Baumgrenze, Erzählungen.‹ Ich bat ihn um eine Widmung. Er schrieb: ›für S. U. herzlich in schwerer Stunde, Thomas B.‹«

[168]
     
    Ohlsdorf
    10. 9. 71
    Lieber Herr Doktor Unseld,
    meinen Besuch in Frankfurt in der Vorwoche habe ich nicht in bester Erinnerung und ich möchte einen solchen Besuch unter den Umständen, wie ich Sie in Frankfurt angetroffen habe, nicht mehr wiederholen.
    Was den Vertrag über mein neues Schauspiel betrifft, den ich mit dem Theaterverlag gemacht habe, und nur auf diesen Vertrag beziehe ich mich, so ist Ihnen doch klar gewesen, dass ich etwas unterschrieben habe, was ich, nach reiflicher Überlegung, nicht unterschreiben habe wollen und dass Sie mir in der uns beiden noch deutlich gegenwärtigen Weise als Szene die Möglichkeit verweigert haben, in dem Vertrag nachträglich zu ändern, was ich geändert haben wollte, gehindert haben also am Gebrauch eines Rechtes, das bekannt ist: gleich von was für einem Vertrag kann jede juristische Person auf der ganzen Welt innerhalb vierundzwanzig Stunden zurücktreten.
    Nach meiner Rückkehr aus Frankfurt habe ich Ihnen einen längeren Brief geschrieben, den ich aber nicht abgeschickt habe, weil ich es für besser hielt, nichts mehr zu sagen und die Dinge sich von selbst entwickeln zu lassen. 1 Jetzt höre ich aber aus Salzburg, dass mich der Verlag (Wer? Der Theaterverlag?) als »verwirrten Künstler« bezeichnet und dass »selbstverständlich« der Verlag den Vertrag mit den Festspielen mache undsoweiter.
    Weder auf »verwirrt« noch auf »Künstler« noch auf »verwirrter Künstler« und schon gar nicht auf »selbstverständlich«, alles Ausdrücke, die wenigstens nicht diplomatisch, schon gar nicht vertrauenerweckend sind, möchte ich näher eingehen, aber schon scheint eingetreten zu sein in der Verhandlung zwischen Frankfurt und Salzburg, was ich zu Recht befürchtete: eine Art von Interpretation des Verhältnisses zwischen mir und dem Verlag, die mir zuwider ist. Was Salzburg betrifft, noch einmal präzise: der Verlag macht einen Vertrag unter gänzlicher Berücksichtigung dessen, was ich persönlich mit Salzburg abgesprochen habe, das betrifft naturgemäss auch das Honorar, das für die vier oder fünf Aufführungen in Salzburg dreissigtausend Mark ausmacht und die zur Gänze von Salzburg an mich zu überweisen sind.
    Was die Fernsehaufzeichnung des Stückes betrifft, über diese ist, wie ich höre, bereits eine Korrespondenz zwischen Köln und Wien und Salzburg in Gang, verhandelt der Verlag laut Vertrag, aber bitte, möchte ich dem Theaterverlag sagen, verschleudern Sie mich nicht.
    Ab den Salzburger Aufführungen habe ich mich vertraglich an den Theaterverlag gebunden, ganz bewusst gebunden, das alles ist ordnungsgemäß zu akzeptieren.
    Von der Fernsehaufzeichnung ist mein Darlehen zu tilgen.
    Das Stück werde ich solange zurückhalten als notwendig und dadurch den Intrigen und der Geschwätzigkeit und der dramatischen Gemeinheit der Theaterleute entziehen. 
    Frankfurt ist für mich kein guter Boden, es ist ein leerer Raum und ein luftleerer Raum.
    Was ich in Frankfurt nicht gesagt habe, jetzt: dass ich um Durchschriften der gesamten Korrespondenz des Theaterverlages, meine Stücke und dadurch unmittelbar meine Person betreffend, bitten muss, damit ich im Bild bin.
    Es geht einfach nicht, dass mich betreffende Vorgänge (wie Kammerspiele München zum Beispiel) mir selbst nicht bekannt sind, weil sie mir vom Verlag einfach nicht bekannt gemacht werden. Das ist eine Absurdität, die ich mir nicht leisten, nicht gestatten will.
    Sollten Sie einmal die Möglichkeit haben, mit mir in Ruhe und weit im Hintergrund einer mir unerträglichen Hektik und im Grunde gigantischen dilettantischen Geschäftigkeit, wie sie das heutige Deutschland für mich darstellt, zu reden, wozu Sie einmal Lust hatten, mit mir zu gehen, freue ich mich natürlich. Die Zukunft wird schwierig sein.
    Herzlich Ihr
    Thomas Bernhard
    1   Dieser nicht abgeschickte und mit Ohlsdorf, 3. September 1971 datierte Brief hat sich im Nachlaß erhalten (NLTB, B 613 / 1 / 2; zu diesem Brief existiert

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