Der Briefwechsel Thomas Bernhard/Siegfried Unseld
reduzierten. Die Sprache Ihres Textes, Ihre Stringenz, Ihr, wenn ich das so sagen darf, Preis, also die Schubkraft der Sprache, ist so herrlich und stark, daß Sie das nicht mehr nötig haben! Solche äußeren typographischen Dinge deuten ja eher auf eine Schwäche des Stils. Ich würde meinen, daß Sie das bei der Korrektur noch einmal genau überlegen sollten. 1
Nun aber zu dem für mich einzigen, wichtigen Einwand: ich verstehe völlig, was Sie im Zusammenhang Ihres Textes vom Unsinn des Kindermachens schrieben. Das so zu sehen ist nicht nur Ihr volles Recht, sondern es ist stringent und überzeugend. Ich habe aber einen gravierenden Einwand gegen eine Konsequenz, so, wenn Oehler sagt (ich sehe wohl, es ist nicht das Ich des Autors und das Ich der Erzähler, sondern eben die »Kunstfigur« Oehler), daß es Aufgabe der Parlamente wäre, Gesetze gegen das kopflose Kindermachen zu beschließen (hier mache ich durchaus noch mit). Aber man soll ein Gesetz machen, das für kopfloses Kindermachen eine Höchststrafe feststelle (auch hier könnte man noch mitmachen). Dann folgt der Satz: »Als solche bezeichnet man bekannterweise die Todesstrafe, sagte Oehler, einzuführen und anzuwenden.«
Das ist nun ein Punkt, gegen den ich persönlich ganz grundsätzlich bin. Ich halte es für richtig, daß die Todesstrafe abgesetzt wurde, und zwar aus einem einzigen Grund: ich will nicht, daß ein Staat, sei’s mit rechten oder linken Vorzeichen, das Recht hat, sich als Henker zu betätigen. Er mag meinetwegen sonst alle Rechte haben, aber die Bestimmung über das Leben des Menschen soll nach meinem Dafürhalten nicht mehr in die Hände eines Staates gelegt sein. Dies wie auch immer. – Gestern sah ich im Fernsehen Bilder von der Erschießung in Marokko. 2 Ich mußte daran denken, welche Konsequenz diese Ihre Feststellung haben kann. Ich möchte Sie sehr bitten, diese Stelle noch einmal in aller Konsequenz zu bedenken. Lassen Sie den Text stehen bis zum Wort »Höchststrafe«, aber streichen Sie bitte den sich anschließenden Nebensatz. Es ist für mich die einzige Stelle in dem Text, in der er die sonstige bedeutende moralische und philosophische Höhe verläßt.
Wollen Sie sich das überlegen? Und bitte, seien Sie mir nicht böse, daß ich in diesem Punkt dringlich werde. Im übrigen wollen Sie überzeugt sein, diese Frage entscheiden Sie, nicht ich. Getreu nach jenem ungeschriebenen Gesetz hier im Hause, wonach der Autor das letzte Wort hat. Bis zu diesem Wort aber möchte ich kämpfen mit Ihnen.
Das Manuskript ist, nachdem ich es durchgesehen habe, sogleich in Satz gegangen. Aus Zeitgründen können wir keine Fahnen herstellen, sondern umbrechen gleich den Text. Der Umbruch ist uns für Freitag, den 30. Juli, zugesichert worden. Das heißt, daß Sie ihn wohl Montag oder Dienstag, 2./3. August 1971, erhalten werden. Wo sind Sie da? Geht also der Umbruch nach Ohlsdorf oder nach Wien? Wir müssen das, bitte schön, ganz genau timen, und ich möchte Sie auch bitten, die Korrektur dann möglichst innerhalb von 3-4 Tagen wieder zurückzuschicken, denn sonst kommen wir in der Planung vollkommen durcheinander, und da der Band ja innerhalb einer Gruppe von 10 anderen Bänden steht, können wir keinerlei Terminverschiebung berücksichtigen. Aber ich glaube auch, daß an diesem Text nichts mehr zu ändern sein wird. Doch bitte, lassen Sie mich wissen, wo Sie sein werden.
Ich möchte Sie gerne bald sehen, nicht nur, um mit Ihnen zu argumentieren, sondern um mit Ihnen zu gehen. Das wird sicherlich irgendwann einmal möglich sein. Morgen muß ich aus »dienstlichen« Gründen zu Ingeborg Bachmann fahren. Sie hat ein Haus am Meer für den Monat Juli zur Verfügung gestellt bekommen, Villa Calamandrei, Ronchi / Prov. di Massa. Angeblich hätte dieses Haus sehr viele Schlafzimmer. Ihr Besuch wäre sicherlich erwünscht. Ich werde wahrscheinlich bis Donnerstag, 22. Juli, dort sein und muß spätestens Freitag früh wieder zurückfliegen. Ich weiß nicht, welche Abstecher Sie planen. 3
Danach bin ich in Klausur mit Uwe Johnson wegen seines nächsten »Jahrestage«-Bandes und danach mit Martin Walser. Zweite Hälfte August bin ich wieder freier.
Was unsere materiellen Vereinbarungen betrifft, so nehmen Sie bitte meinen Brief vom 23. Februar 1971 zur Hand. Dort ist von einem Konto B., »kommende Arbeiten«, die Rede. Die monatlichen Zahlungen, die wir dort vereinbart haben in Höhe von DM 800.—, enden am 31. August 1971. Wenn Sie damit
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