Der Briefwechsel Thomas Bernhard/Siegfried Unseld
eine undatierte Vorstufe):
»Lieber Herr Doktor Unseld,
wieder zuhause, denke ich, dass es besser gewesen wäre, ich hätte Ihrer Einladung, nach Frankfurt zu kommen, nicht Folge geleistet, die Erinnerung drückt jetzt so schwer auf dem Verhältnis zwischen mir und Ihnen und Ihrem Verlag, dass ich sagen muss, dieses Verhältnis hat sich durch die Eindrücke, die ich während unseres Zusammenseins gehabt habe und die mir jetzt nachdem ich der Szene entkommen bin, erst deutlich erscheinen, verfinstert.
Als wäre ich, freiwillig, in eine brutale Maschine hineingegangen, die mit mir gemacht hat, was Maschinen mit Menschen machen, die Individualität und die Art und Weise eines Menschen wie ich, nicht kennen, weil sie, diese Maschinen, ganz einfach so konstruiert sind, wie ich sie erlebt habe, als Sensibilitätszermalmer- und Ignorierer.
Sie sollen nicht glauben, dass mit mir auch die totale Fürchterlichkeit meines Erlebnisses aus Frankfurt abgereist ist, und dass sich auslöschen lässt, was auszulöschen zu wünschen gewesen ist, vor allem jener von einer doch grauenhaften Dämonie getriebene Augenblick, in welchem ich mir zu gestatten getraute, eine Änderung des letzten Passus in dem am Vortag von mir unterschriebenen, mir heute ominös vorkommenden Vertrag, das neue Stück betreffend, anzubringen. Juristisch ist es ein Recht, innerhalb vierundzwanzig Stunden von gleich welchem Vertrage zurückzutreten, umso mehr wäre es moralisch etcetera selbstverständlich gewesen, dass Sie mich wenigstens anhören, umso mehr, als ich an diesem Vormittag (im Gegensatz zum Vortag) in Ruhe und ohne Ermüdung aller Sinne bereit gewesen bin zu allen Erklärungen. So aber haben Sie durch Ihre Handlungsweise blitzartig beinahe alles zerstört. Und mich in eine Rolle gedrängt, die ich nicht spiele.
Ich will aber nicht mehr auf die Sache eingehen und die Verträge sind, wie sie sind und sie bleiben so, wie sie sind. Mag daraus kommen, was will.
Was Salzburg betrifft, muss aber festgestellt werden, das ist meine Sache, die durch keinerlei Aktionen von seiten des Verlages gestört werden darf; diese Disposition ist die meinige und sie ist aus der Erfahrung, die ich gemacht habe. Was über Salzburg hinaus geschieht, ist mir gleichgültig, ich bin niemals heikel meinen abgestossenen Erzeugnissen, sagen wir ruhig, erdachten und aufgeschriebenen Kindern gegenüber.
Was die Finanzen betrifft, so glaube ich nicht, dass Sie tatsächlich fundamental oder auch nennenswert riskieren. Meine Arbeit in der Abgeschlossenheit mit der ganzen Last ihrer Erscheinungen, die viel härter ist, als es sich die heutige stumpfsinnige Massengesellschaft mit ihrer allesumfassen- und alles integrierenwollenden soziologischen und philosophischen und pseudopolitischen Heuchelei vorstellt, ist mir durch ihr durchaus rücksichtsloses Gewicht bekannt und mein Einsatz ist zweifellos der grösste.
Es hat keinen Sinn zu schweigen, wo man sich zu erklären hat. Der nächste Schritt, als Fortschritt zu verstehen, wird absolut schwierig sein.
Herzliche Grüsse Ihr
Thomas Bernhard«
[169; Anschrift: 〈Ohlsdorf〉]
Frankfurt am Main
15. September 1971
Lieber Herr Bernhard,
ich danke Ihnen für Ihren Brief vom 10. September. Es tut mir leid, daß Sie Ihren Besuch in Frankfurt nicht in bester Erinnerung haben — auch ich muß Ihnen dies spicken.
Denken Sie bitte daran, daß eine Beziehung immer zweiseitig sein und von beiden Seiten gespeist werden muß, sonst geht das nicht. Ich wollte eigentlich schriftlich auf jenen Morgen im Verlag nicht mehr eingehen, aber da Sie es tun, muß ich es auch, der Ordnung – aber auch der späteren Geschichte wegen. Es ist einfach unmöglich, daß Sie einseitig Verträge ändern können. Wir haben uns vertraglich gebunden, und diese vertragliche Bindung bedeutet nicht nur Rechte, sondern auch Verpflichtungen. Denken Sie bitte daran, daß ich wieder bereit war, Ihnen ein vergleichsweise hohes Darlehen zu geben; daß ich darauf achten muß, daß der Verlag seinen vertraglich vereinbarten Anteil erhält, ist doch wohl selbstverständlich. Ich kann die ökonomische Basis des Verlages nicht vernachlässigen. Ich will es auch gar nicht. Mir muß es darauf ankommen, das Schiff in guter Fahrt halten zu können. Dies, damit wir die Bücher machen, auf die es uns ankommt.
Wir werden gegenüber Salzburg so verfahren, wie es vertraglich vereinbart ist. Ein Vertrag ist am Montag an die Salzburger Festspiele geschickt worden; wie jeder Vertrag
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