Der Buddha aus der Vorstadt
Hobby-Schriftsteller-Kurs in einem Raum im oberen Stock des King’s Head an der Bromley High Street kennengelernt hatte -, daß diese Mrs Kay sich ihm an den Hals werfen wollte. Pure Lüsternheit war nicht der letzte Grund, warum mir soviel daran lag, sie zu sehen, und Verlegenheit einer der Gründe, warum Mum sich weigerte, mitzukommen. Eva Kay war direkt; sie war schamlos; sie war gewissenlos.
Auf dem Weg zu Eva überredete ich Dad, bei den Three Tims in Beckenham eine Zwischenstation einzulegen. Ich stieg aus dem Bus; Dad blieb keine Wahl: Er mußte mir nach. In der Kneipe drängten sich Kids aus meiner Schule und von den Schulen der Umgebung. Die meisten Jungs sahen tagsüber völlig unscheinbar aus, und gingen jetzt, genau wie ich, in Samt und Seide und leuchtenden Farben; einige trugen Bettlaken oder Vorhänge. Die kleinen Pisser redeten ganz esoterisch von Syd Barrett. In der Schule galt es als unheimlicher Vorteil, wenn man einen älteren Bruder in London hatte, der in Mode, Musik oder Werbung machte. Ich mußte meine »Melody Maker« und den »New Musical Express« gründlich lesen, wenn ich mithalten wollte.
Ich nahm Dad an die Hand und führte ihn ins Hinterzimmer. Kevin Avers, der mal bei Soft Machine gewesen war, saß auf einem Barhocker und säuselte ins Mikrofon. Er hatte zwei französische Mädchen bei sich, die auf der Bühne herumtorkelten. Dad und ich bestellten jeder ein Pint Helles. Ich war Alkohol nicht gewohnt und war sofort betrunken. Dad wurde trübsinnig.
»Deine Mutter regt mich auf«, sagte er. »Sie hält sich aus allem raus. Wenn ich mich nicht so verdammt anstrengen würde, wäre diese ganze Familie längst auseinandergebrochen. Kein Wunder, daß ich mir ständig mit leichter Meditation den Kopf freihalten muß.«
Hilfsbereit schlug ich vor: »Warum läßt du dich nicht scheiden?«
»Weil dir das nicht gefallen würde.«
Aber sie wären sowieso nie auf die Idee gekommen, sich scheiden zu lassen. In Suburbia träumen die Menschen selten davon, den Griff nach dem Glück zu wagen. Gewohnheit und Durchhalten geht ihnen über alles: Die Belohnung für Langeweile sind Sicherheit und Geborgenheit. Unter dem Tisch ballte ich meine Fäuste. Ich wollte nicht daran denken. Es würde noch Jahre dauern, bevor ich in die Stadt flüchten konnte, nach London, wo das Leben so grenzenlos verführerisch war.
»Ich habe Angst vor heute abend«, sagte Dad. »Es ist das erste Mal, daß ich so was mache. Ich weiß nichts. Ich werde ein totaler Reinfall sein.«
Die Kays waren um einiges besser gestellt als wir und hatten ein größeres Haus mit einer kleinen Auffahrt, Garage und Auto. Ihr Anwesen lag etwas zurückgesetzt in einer von Bäumen gesäumten Straße, die unmittelbar von der Beckenham High Street abzweigte. Es hatte Erkerfenster, Mansarden, ein Gewächshaus, drei Schlafzimmer und Zentralheizung.
Ich erkannte Eva Kay nicht, als sie uns an der Tür begrüßte, und einen Augenblick lang dachte ich, wir wären vor dem falschen Haus aufgekreuzt. Außer einem langen, bunten Kaftan hatte sie nichts an, und ihr Haar stand nach allen Seiten vom Kopf ab. Sie hatte sich die Augen mit Kajal geschwärzt und sah aus wie ein Panda. Sie lief barfuß, ihre Zehennägel waren abwechselnd grün und rot lackiert.
Als die Tür fest hinter uns ins Schloß fiel und wir in der dunklen Eingangshalle standen, umarmte Eva meinen Dad und küßte ihm das ganze Gesicht ab, auch die Lippen. Es war das erste Mal, daß ich sah, wie er leidenschaftlich geküßt wurde. Und - sieh an, sieh an - von Mr Kay keine Spur. Als Eva sich wieder rührte, als sie sich zu mir umdrehte, kam sie mir wie eine Art menschlicher Getreidebestäuber vor, der eine Wolke orientalischer Düfte vor sich hersprühte. Ich versuchte gerade zu ergründen, ob Eva die kultivierteste oder die eingebildetste Frau war, die ich je kennengelernt hatte, als sie mich auch auf die Lippen küßte. Mein Magen ballte sich zusammen. Wie einen Mantel, den sie anprobieren wollte, hielt sie mich dann auf Armlänge von sich ab, sah mich von oben bis unten an und sagte: »Karim Amir, du bist so exotisch, so originell! Welch eine Bereicherung für den heutigen Abend! So typisch du!« »Vielen Dank, Mrs Kay. Hätte ich früher von der Einladung gewußt, hätte ich mich noch etwas zurechtgemacht.« »Ganz wie der Vater, der gleiche wundervolle, aber vernichtende Witz!«
Ich spürte, daß ich beobachtet wurde, und als ich aufsah, entdeckte ich oben auf der Treppe, vom
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