Der Buick: Roman (German Edition)
dir aus.« Er stand auf und betrachtete die leere Rückbank. » Das ist übel, Eddie. Das könnte ein richtiges Kackorama werden. Das ist dir doch klar, oder?«
Es war nie gut, wenn ein Gefangener ausbrach, aber Brian Lippy war kein John Dillinger, und das sagte ich ihm auch.
George schüttelte den Kopf, als hätte ich da was nicht verstanden. » Wir wissen nicht, was er gesehen hat. Oder?«
» Hä?«
» Vielleicht gar nichts«, fuhr er fort und strich mit dem Schuh durch die Glassplitter. Sie klickten und knirschten. Auf einigen waren Blutströpfchen. » Vielleicht ist er nicht in Richtung Schuppen abgehauen. Aber dann wäre er natürlich zur Straße gekommen, und selbst wenn er hackedicht wäre, würde er das lieber vermeiden, denn wenn ihn irgendein gerade kommender Kollege sieht – blutüberströmt und mit Glassplittern im Haar –, würde er ihn gleich wieder festnehmen.«
Ich war an diesem Tag nicht der Schnellste, das geb ich gern zu. Oder vielleicht stand ich auch immer noch unter Schock. » Ich verstehe nicht so ganz, was du …«
George hatte den Kopf gesenkt und die Arme vor der Brust verschränkt. Er rührte immer noch mit dem Fuß in den Glassplittern herum. » Also ich an seiner Stelle wäre auf die Wiese gelaufen. Ich hätte mich durch die Wälder zum Highway durchgeschlagen, mich vielleicht an einem der Bäche da gewaschen und hätte dann versucht, per Anhalter weiterzukommen. Aber was wäre gewesen, wenn mich bei meiner Flucht irgendwas abgelenkt hätte? Wenn ich aus dem Schuppen Schreie und Schläge gehört hätte?«
» Oh«, sagte ich. » O Gott. Du meinst doch nicht im Ernst, der wäre stehen geblieben und hätte geguckt, oder?«
» Wahrscheinlich nicht. Aber ist es denkbar? Durchaus. Die menschliche Neugier sollte man nie unterschätzen.«
Da musste ich daran denken, was Curt immer über neugierige Katzen sagte. » Ja, aber wer auf Gottes weiter Welt würde ihm denn jemals glauben?«
» Wenn es im American stünde, würde Ennis’ Schwester ihm vielleicht glauben«, sagte George schleppend. » Und das wäre schon mal ein Anfang, nicht wahr?«
» Mist«, sagte ich. Ich dachte darüber nach. » Dann lassen wir Shirley wohl besser einen Rundruf an alle Streifen rausgeben.«
» Warten wir erst mal ab, bis die Jungs die Lage in Poteenville einigermaßen im Griff haben. Und wenn der Sarge dann kommt, erzählen wir ihm alles – auch was Lippy vielleicht gesehen hat – und zeigen ihm das, was davon im Schuppen B noch übrig ist. Wenn Huddie ein paar halbwegs anständige Fotos macht …« Er sah sich um. » Wo steckt der überhaupt? Der müsste doch längst schon wieder draußen sein. O Gott, hoffentlich …«
In diesem Moment fing Shirley an zu schreien: » Hilfe! Bitte! Helft mir! Bitte, bitte, helft mir!«
Im gleichen Augenblick kam Mister Dillon durch das Loch heraus, das er in die Gazetür gerissen hatte. Er schwankte wie ein Betrunkener und hatte den Kopf gesenkt. Rauch stieg von seinem Fell auf. Anscheinend kam auch Rauch aus seinem Kopf, aber zunächst konnte ich nicht sehen, woher genau; sein ganzer Kopf rauchte – das war mein erster Eindruck. Auf der ersten der drei Stufen der Hintertreppe verlor er das Gleichgewicht und fiel auf die Seite. Dabei drehte er den Kopf ruckartig hin und her. Er bewegte sich wie die Leute in alten Stummfilmen. Ich sah zwei dünne Rauchfahnen aus seinen Nasenlöchern kommen. Das erinnerte mich an die Frau, die in Lippys Pick-up gesessen hatte, und daran, wie der Rauch ihrer Zigarette in einer schmalen Säule aufgestiegen war, die sich unter dem Dach der Fahrerkabine aufgelöst hatte. Auch seine Augen rauchten und sahen eigenartig knorpelig und weiß aus. Er erbrach einen Schwall rauchendes Blut, halb zersetztes Gewebe und kleine, weiße, dreieckige Dinge. Erst einen Moment später wurde mir klar, dass es seine Zähne waren.
Damals: Shirley
Auf allen Kanälen ging es drunter und drüber, aber niemand meldete sich bei der Basis. Wieso sollten sie auch, wenn sie alle entweder bei der Grundschule Poteenville waren oder dorthin unterwegs? Wenigstens hatte George Stankowski die Kinder aus dem Rauch gerettet, das bekam ich mit. Die freiwillige Feuerwehr Poteenville hatte, unterstützt von Feuerwehren aus Statler County, die Grasbrände rund um die Schule mittlerweile im Griff. Das Feuer war tatsächlich durch brennenden Diesel und nicht durch leicht entzündbare Chemikalien ausgelöst worden. Der Tanklaster hatte flüssiges Chlor geladen, das hatte sich
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