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Der Buick: Roman (German Edition)

Der Buick: Roman (German Edition)

Titel: Der Buick: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
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ich werde krank. Ich hab gedacht, ich krieg diese Zahnfleischkrankheit, bei der einem alle Zähne ausfallen. Aber ich bin drüber weggekommen.« Ich schaute Ned an und wartete, dass er mir in die Augen sah. » Ich bin drüber weggekommen, Junge.«
    Er sah mir in die Augen, aber sein Blick war leer. Schon komisch. Als wären seine Augen nur aufgemalt oder so.
    Klar?

Jetzt: Sandy
    Ned sah Phil an. Sein Gesicht wirkte ruhig, aber doch auch abweisend, und ich glaube, Phil merkte das. Phil seufzte, verschränkte die Arme vor der Brust und sah zu Boden, wie um auszudrücken, dass er fertig erzählt habe, dass seine Zeugenaussage beendet sei.
    Ned wandte sich an mich. » Und was ist an diesem Abend passiert? Als ihr die Fledermaus seziert habt?«
    Er sagte immer wieder Fledermaus dazu, obwohl es keine Fledermaus gewesen war. Das war nur ein Wort, das ich dafür gebraucht hatte. Curtis hätte es als Nagel bezeichnet, an dem ich meinen Hut aufgehängt hatte. Und mit einem Mal war ich wütend auf Ned. Mehr als nur wütend – stinksauer. Gleichzeitig ärgerte ich mich über mich selbst, dass ich so empfand, dass ich es fertigbrachte, so zu empfinden. Verstehen Sie: Vor allem war ich wütend darauf, dass mir der Junge erhobenen Hauptes in die Augen sah, solche Fragen stellte und so dumme Annahmen traf wie die, dass ich auch Fledermaus meinte, wenn ich Fledermaus sagte, und nicht irgendein unbeschreibliches, unsägliches Ding, das aus einer Ritze im Weltall gekrochen und dann gestorben war. Aber vor allem war ich wütend darauf, dass er mir erhobenen Hauptes in die Augen sah. Ich weiß, das wirft kein besonders tolles Licht auf mich, aber ich will es auch nicht verhehlen.
    Bis dahin hatte er mir hauptsächlich leidgetan. Alles, was ich getan hatte, seit er zu uns in die Kaserne kam, hatte von diesem bequemen Mitleid hergerührt. Denn während er Fenster geputzt und Laub geharkt und Schnee geräumt hatte, hatte er sich die ganze Zeit über geradezu duckmäuserisch bedeckt gehalten. Man musste nicht mit seinen Blicken fertigwerden. Man musste sich selbst keine Fragen stellen, denn Mitleid ist bequem. Nicht wahr? Wer Mitleid hat, ist überlegen. Und nun hatte er den Kopf erhoben, sprach mich auf meine eigenen Aussagen an und guckte so gar nicht mehr duckmäuserisch. Er glaubte, dazu berechtigt zu sein, und das machte mich wütend. Er glaubte, ich wäre ihm etwas schuldig – wir würden ihm das hier draußen nicht aus Gefälligkeit erzählen, sondern weil da eine Schuld abzutragen wäre –, und das machte mich noch wütender. Und dass er damit recht hatte, machte mich erst so richtig stinksauer. Mir war danach, ihm mit dem Handballen einen Kinnstüber zu verpassen und ihn so von der Bank zu hauen. Er glaubte, ein Recht darauf zu haben, und ich wollte, dass ihm das leidtat.
    In dieser Hinsicht ändern sich unsere Gefühle gegenüber jungen Menschen wohl nie groß. Wenn wir sie nicht mehr bemitleiden können, wenn sie unser Mitleid – nicht mehr unwillig, sondern unduldsam – zurückweisen, bemitleiden wir uns stattdessen selber. Wir wüssten gern, wie es mit unseren lieben Kleinen so weit kommen konnte. Haben wir ihnen nicht Klavierstunden bezahlt und beigebracht, wie man einen Curveball wirft? Haben wir ihnen nicht Wo die bösen Kerle wohnen vorgelesen und bei Suchbildern geholfen? Wie können sie es da wagen, uns erhobenen Hauptes in die Augen zu sehen und so voreilige, dumme Fragen zu stellen? Wie können sie es wagen, solche Annahmen zu treffen? Wie wagen sie es, mehr zu wollen, als wir zu geben bereit sind?
    » Sandy? Wie war das denn nun, als ihr die Fledermaus …«
    » Nicht so, wie du es gern hättest«, sagte ich, und als seine Augen angesichts meines kühlen Tonfalls ein wenig größer wurden, sah ich das nicht unbedingt ungern. » Es war nicht das, was dein Vater sehen wollte. Und Tony auch nicht. Es brachte keine Lösung. Eine Lösung hat es nie gegeben. Alles, was mit dem Buick zu tun hatte, war eine Luftspiegelung, ein Trugbild, wie man das manchmal an heißen Tagen über dem I-87 sieht. Aber auch das stimmt nicht so ganz. Wäre dem so gewesen, dann hätten wir uns wohl irgendwann nicht mehr mit dem Buick beschäftigt – wie man auch einen Mordfall aufgibt, wenn man nach einem halben Jahr einsieht, dass man den Täter nicht fassen wird, dass er einem durch die Lappen gegangen ist. Bei dem Buick und den Dingen, die aus dem Buick kamen, gab es immer irgendwas, woran man sich festhalten konnte. Etwas, was man

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