Der Bund der silbernen Lanze: Historischer Kriminalroman (German Edition)
Kirche zu ziehen.
»Bitte, ich … «
Die beiden wandten sich zu Laetitia um.
»Darf ich hier warten, bis das Vespergebet vorbei ist? Im Gebäude kann ich natürlich nicht bleiben, weil sich das nicht ziemt. Aber wenn ich mich im Kreuzgang vor dem Rückweg noch etwas ausruhen darf?«
Laetitia zwang ein Lächeln auf ihren Mund. Sie forschte in Ruperts Miene nach verräterischen Zeichen der Bosheit, die möglicherweise seinen wahren Charakter hinter der Schönheit seiner feinen Züge durchschimmern ließen. Verrieten sie, dass die Saat aufgegangen war, und sich ein neuer Mordplan hinter seiner Stirn entwarf? »Gewiss wollt Ihr mir das erlauben«, fügte sie an.
Statt Rupert antwortete Wilhelm mit einem Nicken und forderte Laetitia auf, ihm zu folgen. Auf dem Weg zum Kreuzgang, den nur wenige Fackeln erleuchteten, begegnete ihnen kaum eine Menschenseele. Die Bauarbeiten legte man nieder, da die Abenddämmerung hereingebrochen war, und die meisten Mönche hatten sich offenbar zum Stundengebet versammelt.
»Wird Euch Sebastian von Falkenstein eigentlich zum Gebet begleiten?«, erkundigte sich Laetitia.
Wilhelm zuckte die Achseln. »Nun, wenn er hier wäre, hätten wir sicher nichts dagegen. Ich muss mich jetzt auf alle Fälle sputen, sonst komme ich zu spät.«
Damit wandte er sich um und verschwand. Laetitia stand da wie vom Donner gerührt. An ihren Schläfen bildete sich Schweiß. Mein Gott, wie konnte sie bloß so naiv handeln? In welche Gefahr hatte sie sich gebracht! Wenn sie sich doch nur vergewissert hätte, dass Sebastian getreu ihrer Vereinbarung in Sankt Matthias eingetroffen war. Alles hatten sie detailgenau geplant! Wieso hatte er sich verspätet? Ihm war doch klar, dass sie sich in Lebensgefahr brachte, wenn sie sich Rupert als Köder präsentierte.
Wenigstens konnte sie sich sicher fühlen, solange Rupert im Kreis der Geistlichen betete. Sie lehnte den Rücken gegen eine Säule und ging auf die Knie. Allerdings würde das Gebet nicht ewig dauern und Ruperts Mordplan war gewiss schon geschmiedet. Hatte Sebastian sie im Stich gelassen? Wie sonst sollte sie sein Fernbleiben erklären? Schließlich setzte er sie Todesgefahr aus, und das in vollem Bewusstsein. Was die Angst aus einem macht, dachte sie im nächsten Moment, mehr um sich zu beruhigen als aus Überzeugung, und schüttelte den Kopf. Gestern war ihr Verdacht auf Karolina gefallen – weil sich ihr theoretisch die Chance zum Mord an Brigitta geboten hatte – und heute verlor sie das Vertrauen in Sebastian. Dabei hatte er sich sicher nur aufgrund einer unglücklichen Fügung verspätet. Allerdings einer, die für sie das Ende bedeuten könnte.
In der nächsten Sekunde glomm ein fruchtbarer Gedanke in ihr auf: Wenn Karolina in der Konstantinbasilika die Gelegenheit zum Mord an Brigitte gehabt hatte, traf das auch auf Sebastian zu. Nachdem die Nonne verschwunden war, um Linnen und Arnika für Wilhelms Verband zu holen, war auch er einige Minuten unbeobachtet im erzbischöflichen Palast zurückgeblieben.
Aber nein, was spann sie sich da zurecht? Und doch … Laetitia presste die Augen zusammen und sah hinter der Schwärze ihrer Lider, wie Sebastian, den günstigen Moment nutzend, durch den von aller Welt vergessenen Zugang hinab zum Hypocaustum schlich. Von dort aus nahm er die zweite Treppe, die in die Kammer mündete, in der Brigitta wartete. Er öffnete die Ebenholzvertäfelung und zog die Klinge. Und all das, während Laetitia draußen Wache hielt und mit Argwohn auf Rupert schielte.
Sie riss die Augen auf. Ihr Herz jagte. War es wirklich denkbar, dass Sebastian mit solch niederträchtigem Kalkül gehandelt hatte? Dann hatte ihn womöglich schon an jenem Sonntag, an dem sie abends am Altport bei den Römerthermen nach Brigitta suchte, dieselbe Absicht getrieben! Vielleicht hatte er die Hure schon da ermorden wollen? War es einem puren Zufall zuzuschreiben, dass sie selbst seine Pläne durchkreuzt hatte? Dabei hatte sie angenommen, er sei aus Sorge um sie dort erschienen. Ja, sie hatte Sebastian sogar für die Rettung aus der Gefahr gedankt!
Unfug. In welch abstruse Gedanken verstieg sie sich. Die Tatsache, dass niemand anderes als Sebastian es gewesen war, der über das Hypocaustum im Bischofspalast berichtet hatte, entlastete ihn. Warum hätte er auf den verborgenen Zugang zur Kammer hinweisen sollen, wenn er etwas auf dem Kerbholz hatte?
Andererseits, wenn er sich Laetitias Vertrauen vollkommen sicher fühlte, hatte er dabei womöglich
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