Der Bund der silbernen Lanze: Historischer Kriminalroman (German Edition)
auf eine einzige Erwartung gebaut: Dass in Laetitia der Verdacht gegen Karolina aufglomm und sie sofort zu Wilhelm rennen würde, um ihm darüber zu berichten. So leicht hätte sich die Nonne in der Schlinge des gegen sie geäußerten Vorwurfs verheddern können! Schließlich wussten gewiss viele in Trier um Burkhards Hass gegen sie. Ein Motiv war demgemäß nachweislich vorhanden und Wilhelm war bestimmt rasch von ihrer Schuld zu überzeugen. Der beste Schutz für den wahren Mörder bestand immer noch darin, dass ein anderer wegen der Taten verurteilt wurde.
Hatte Sebastian sie tatsächlich instrumentalisiert, um Karolina die Verbrechen anzuhängen? Das würde voraussetzen, dass sein Hinweis auf das Amulett und die anderen vermeintlichen Beiträge zur Aufklärung der Morde ausschließlich als Ablenkungsmanöver dienten. Vor allem aber würde es bedeuten, dass sie selbst nun eine Gefahr für Sebastian darstellte. Nachdem sie, statt Wilhelms Misstrauen auf Karolina zu lenken, sich von deren Unschuld überzeugt hatte, war es eine Frage der Zeit, sehr kurzer Zeit, bis sich ihr Verdacht gegen Sebastian entzünden würde. Hatte er sich nicht eigentümlich rasch von ihrem Plan überzeugen lassen, sich zum lebenden Köder für Rupert zu machen? War in diesem Moment womöglich die Idee in ihm aufgekommen, sich ihrer an einem günstigen Ort zu einem festgelegten Zeitpunkt zu entledigen? Nein, die Vorstellung schmerzte zu sehr. Gewiss gab es für alles eine harmlose Erklärung. Es konnte einfach nicht sein, was nicht sein durfte.
Ein Geräusch schreckte Laetitia auf. Näherten sich da etwa Schritte? Erstaunlich, denn das Vespergebet musste noch in vollem Gange sein. Sie strich sich eine Strähne aus den Augen und wandte sich nach der Tür um, die zur Kirche führte. Die Dunkelheit hatte mittlerweile stark zugenommen. Die Schatten der Arkaden verschmolzen ineinander. Laetitia lauschte in die Stille. Nein, da war niemand. Gewiss reagierte sie überzogen aufgrund ihrer Anspannung. Trotzdem fühlte sie sich unwohl dabei, starr und ausgeliefert an einer Stelle zu sitzen. Sie richtete sich vom Boden auf und schüttelte das leichte Taubheitsgefühl aus ihren Beinen. Dann tat sie einige Schritte entlang der Arkadenbögen.
In ihrem Kopf verknüpften sich weitere Verdachtsmomente gegen Sebastian. Dass er nicht nur Brigitta, sondern auch Gerwin umgebracht haben könnte, war vollkommen logisch. Als seines Vaters Mitgastgeber hätte er alle Möglichkeiten der Welt gehabt, Gerwins Becher das Gift des roten Fingerhuts beizumengen. Sogar für das letzte Wort Burkhards fand sich eine Interpretation: Es galt womöglich dem Abbild des Domfalken, das im Herzen von Sebastians Familienwappen stand. Wieso habe ich zuvor nicht bedacht, dass man den Domfalken gemeinhin auch ›Stadtfalken‹ oder ›Turmfalken‹ nennt?, warf sich Laetitia vor. ›Turm…‹, ›Turm…‹ Auf der Schwelle des Todes war Burkhard mit versagender Stimme wohl nicht mehr gelungen, das Wort ›Turmfalke‹ fertig auszusprechen!
Laetitia runzelte die Stirn. Ihr kam merkwürdig vor, dass Burkhard nicht einfach ›Sebastian‹ gewispert hatte, um auf den Mörder hinzuweisen. Es schien recht weit hergeholt, dass er sich stattdessen mit der Beschreibung des Wappens auf seinem Wams aufhielt. Andererseits mochte niemand sagen, was im Kopf eines Sterbenden vor sich ging. Vielleicht hatte sich ihm – schon dämmrig aufgrund des Blutverlustes – einfach der Turmfalke als letzte Sinneswahrnehmung eingebrannt? Ja, durchaus denkbar.
Laetitia kämpfte die durch Wut und Enttäuschung aufsteigenden Tränen nieder. Hatte sie sich so in Sebastian getäuscht? War er des Mordes fähig oder des Verrats an seinen Waffenbrüdern? Denn wenn er Burkhard auf dem Gewissen hatte, bedeutete das unweigerlich, dass ihm gleichzeitig der schändlichen Verrat in der Maximiner Fehde anzulasten war. Nichts Widerwärtigeres als Verrat konnte es geben. Am liebsten hätte sie ausgespuckt vor Ekel. War ihr nicht gleich suspekt erschienen, dass Sebastian als Verwandter des Luxemburger Grafen auf der Seite von Erzbischof Albero gekämpft hatte? Angeblich hatte er dies getan, weil er Heinrichs Verhalten als nicht dem Ehrencodex entsprechend erachtete.
»Pah, Ehre!«, zischte Laetitia. Nicht einmal das Ehrgefühl einer Schmeißfliege besaß ein Verräter. Vermutlich hatte Sebastian nur ein einziger Grund bewogen, sich vor Jahren zum Schein auf Alberos Seite zu schlagen: Die Chance, den Erzbischof
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