Der Bund der silbernen Lanze: Historischer Kriminalroman (German Edition)
auszuspionieren. Hatte er das erworbene Wissen geschickt Heinrich von Luxemburg in die Hände gespielt, um Albero im entscheidenden Moment in die Flanke zu stoßen? So könnte es gewesen sein!
Ein schleifendes Geräusch durchbrach plötzlich die Stille. Laetitia fuhr herum. Eine der Türen zum Kreuzgang öffnete sich. Im hell erleuchteten Viereck des Eingangs erschien der schwarze Umriss einer Gestalt im Kapuzenmantel. Sekunden später schloss sich die Tür, die Silhouette wurde eins mit den Schatten des Gemäuers. Im selben Atemzug durchzuckte Laetitia die Gewissheit, dass diese Gestalt es war, die sie am Abend von Burkhards Tod vor dessen Haus beobachtet hatte. Regungslos stand sie da, während sich Schritte näherten. Nur nicht atmen, schon die leiseste Bewegung könnte sie verraten. Wenn sie sich nicht rührte, würde vielleicht alles gut werden. Für einen Moment presste sie die Lider zusammen und sandte ein stummes Gebet zum Himmel, doch Gott schien ihr nicht gnädig zu sein. Mit dem unerbittlichen Gespür, das einem die Todesangst verleiht, erkannte Laetitia, dass sie entdeckt worden war. Die Schattengestalt hatte Witterung aufgenommen wie ein Raubtier, das sich den Weg zu seiner Beute suchte. Mit keuchendem Atem hastete Laetitia los, entlang der Bogenfenster. Während die Furcht sich tiefer in ihren Nacken bohrte, flimmerte in ihrem Geist das Bild des Verfolgers auf und nahm mal das Gesicht von Rupert, mal das Gesicht von Sebastian an.
Nur noch wenige Schritte bis zum Glockenturm. Laetitia zerrte am Türgriff. Welch ein Glück, niemand hatte den Eingang verschlossen! Voller Dankbarkeit, dass ein Schutzengel sich ihrer nun doch erinnerte, schlüpfte sie hindurch. Rasch zu mit der Tür! Wie in einen Brunnenschacht warf der bleiche Mond Licht in den Turm.
Laetitia drehte sich um die eigene Achse. Nur den Bruchteil eines Moments brauchte sie, um zu erkennen, dass von hier kein Durchgang zur Kirche führte. Man hatte im Zuge der Baumaßnahmen Bretter davor genagelt, die ihr jetzt den Weg versperrten. Verflucht, sie saß in der Falle! Fieberhaft suchte sie nach einem Gegenstand, den sie von innen gegen die Tür stemmen konnte. Nichts. Sie hielt das Ohr gegen das Türblatt. Schweiß rann ihr von der Stirn, während sie auf verdächtige Schritte lauschte. Alles still. Vielleicht hatte sie den Verfolger abgeschüttelt? Laetitia betete mit pochendem Herzen, dass er sie nicht finden möge. Wieder ein Geräusch. Sie erstarrte. Was sollte sie jetzt tun? In wenige Sekunden würde sich die Tür öffnen und ihr Feind käme herein, erfüllt von der unumstößlichen Absicht, sie zu töten. Der Glockenturm, von dem sie sich Rettung versprochen hatte, war zu ihrem Gefängnis geworden. In der Ausweglosigkeit ihrer Situation entfuhr ein Laut ihrer Kehle, der wie das erbarmungswürdige Wimmern eines geschundenen Tieres klang.
Verzweifelt sah sie nach oben: Eine Glocke gab es im unfertigen Turm noch nicht, sonst hätte sie wenigstens durch Läuten auf sich aufmerksam machen können. Alles in Laetitia bäumte sich gegen die Tatenlosigkeit auf. Wenigstens versuchen musste sie, irgendwie hier rauszukommen. Von Todesangst getrieben, stieg sie die Behelfstreppe empor, ohne zu überlegen. Immer einen Schritt nach dem anderen die hölzernen Stiegen des unfertigen Glockenturms hinauf. Die Tür knarrte und bald darauf hörte Laetitia keuchenden Atem. Sie war nicht mehr allein. Der Feind kam näher, unaufhaltsam, Stufe für Stufe. Bloß nicht nach unten sehen, sonst würde ihr schwindlig. Weiter, immer weiter ging es hinauf dem Mond entgegen, der von einem Schleier umgeben wie eine bleiches Zeichen der Hoffnung in der Schwärze stand.
Endlich langte Laetitia ganz oben am Ende der Treppe an. Sie klammerte sich an das Fenstersims. Weißlich schimmerten die Knöchel ihrer Finger, als sie sich nach draußen beugte, um die Höhe abzuschätzen. Da erblickte sie einen Rettungsanker: Das Gerüst, das den Turm umlief. Schon in der nächsten Sekunde schwang Laetitia das rechte Bein nach draußen. Dann wurde sie am linken Fuß gepackt. Panisch versuchte sie, sich von den Händen zu befreien, die ihren Knöchel umfassten und an ihm zerrten. Schweiß strömte ihr aus allen Poren. Sie verlor die Balance, doch gelang es ihr in letzter Sekunde, sich an dem Mauersturz festzuklammern.
Ihrem Angreifer war weniger Erfolg beschieden. Er schwankte auf den Stufen der Treppe. Sein Griff lockerte sich, Laetitias Bein kam frei und sie trat zu. Alles wurde zu
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