Der Bund der silbernen Lanze: Historischer Kriminalroman (German Edition)
Verrat in manch Trierer Seele, ohne dass er laut geäußert worden wäre. Dass ausgerechnet der ehrwürdige Wilhelm sich schließlich als der Bösewicht entlarvte, kam für jedermann überraschend und sorgte für offen stehende Münder. Kein Wunder, dass die Bewunderung für sie – die kluge Fremde – in ganz Trier aufblühte. Laetitia hatte allen Grund, stolz auf das Erreichte zu sein. Nicht zuletzt, weil Rupert in seinen Bemühungen, in Trier Unterstützung für den Kreuzzug zu finden, samt und sonders gescheitert war. Natürlich hatte er das noch im selben Moment begriffen, in dem sie Wilhelms Verbrechen vor unzähligen Zeugen ans Tageslicht gefördert hatte. Das Ansehen, das er mit der Verurteilung einer Katharerin hatte gewinnen wollen, löste sich in nichts auf. Auf einen Schlag war er wieder zu dem geworden, was er bei seinem Eintreffen in Trier gewesen war: ein Mann, reich an Ehrgeiz und Tatendrang, aber arm an Mitteln. Seine Miene, über die bei dieser Erkenntnis unbändige Wut gezuckt war, hatte sich in Laetitias Gedächtnis eingebrannt und würde für alle Ewigkeit erhalten bleiben. Allein der Triumph dieses Moments stimmte sie milde gegenüber der Tatsache, dass Trier Rupert einen günstig gelegenen Platz an der Mosel anbot, um dort einen Templerposten zu gründen.
Das Lächeln, das sich für einige Sekunden in Laetitias Mundwinkel gestohlen hatte, verblasste. Ein Gesicht fehlte in der Menge. Sie fühlte sich mit einem Mal einsam, als stünde sie nicht mitten in einem jubelnden Gewimmel, sondern mutterseelenallein in einem stillen Wald. Sie begann zu frösteln. Unter ihre Enttäuschung mischte sich Zorn. Was bildete sich Sebastian eigentlich ein? Verschwand sofort nach der Anhörung, ohne ein einziges Wort mit ihr zu wechseln! Dabei erwartete Laetitia nicht zwingend Anerkennung aus seinem Mund, aber nach den gemeinsam durchgestandenen Gefahren und gelösten Rätseln konnte es doch nicht zu viel verlangt sein, dass er sich wenigstens verabschiedete. Im Wechselbad ihrer Gefühle nahm Laetitia wie durch eine Nebelwolke den Papst wahr, als er hoch zu Ross mit seinem Gefolge an ihr vorbeizog.
»Ihr seid enttäuscht wegen Sebastian?«, holte sie Karolina, die ihr Mienenspiel beobachtet hatte, aus den Gedanken.
Laetitia wies diese Vermutung entschieden zurück und hob die Schultern. »Enttäuscht? Was für einen Grund sollte ich denn dafür haben? Unfug, ich bin nur über seine Unhöflichkeit verärgert. Ich meine: einfach zu verschwinden. Nicht, dass es mich groß interessiert, wo er steckt und was er für Pläne verfolgt. Das ist mir recht egal, ja, genaugenommen ist es mir vollkommen egal.«
Obwohl vehement vorgebracht, fehlte es ihren Worten offenbar an der notwendigen Überzeugungskraft, denn Karolina zog skeptisch und auch etwas mitleidig die Brauen zusammen. Rasch schob Laetitia noch eine weitere Beteuerung nach. »Es ist eine Frage des Prinzips.«
»Nun, das verstehe ich gut«, beteuerte Karolina, voller Verständnis mit dem Kopf nickend. »Ich werde Sebastian rügen, sobald er wieder in der Stadt auftaucht. Ihr werdet ja selbst keine Gelegenheit mehr dazu finden, weil Ihr gewiss bald nach Nogent zurückkehren möchtet, um Euer Noviziat zu beginnen. Ihr wollt doch noch immer Nonne werden?«
Laetitia wusste nicht zu sagen, was ihr an dieser Frage mehr missfiel: Der Inhalt oder der provokative Ton, in dem sie formuliert war. Etwas künstlich klang in ihren eigenen Ohren denn auch die Bejahung, die forsch – vielleicht etwas zu forsch – folgte. »Natürlich will ich mein Noviziat beginnen und gleich morgen früh breche ich auf, damit mir nicht noch ein plötzlicher Wintereinbruch das Reisen unmöglich macht!«
»Wie gut, dass ich gerade noch rechtzeitig komme, um Euch etwas mit auf den Weg zu geben.«
Laetitia errötete und fuhr herum. Diese Männerstimme war ihr wohlbekannt. Mit seinem typischen Lächeln, das sie bei ihrer ersten Begegnung als unverschämt erachtet hatte, stand Sebastian vor ihr und hielt mit der Rechten ein dünnes Bündel Briefe empor. »Damit Ihr nicht mit leeren Händen abreisen müsst. Ein paar Briefe aus Abaelardus’ Korrespondenz konnte ich bei Wilhelm sichern.«
Wie glücklich es Heloïse machen würde, wenn sie ihr die Briefe des Geliebten überbrachte, schoss es Laetitia durch den Kopf. Und vor allem, wie leicht sich auszumalen war, mit welcher Gunst sie selbst von da an überschüttet werden würde. Warum sie bei dieser Vorstellung nicht schier vor Freude jubelte,
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