Der Bund des Raben 01 - Dieb der Dämmerung
ließ sie dort anhalten, bevor sie mit der Anrufung begann. Will lehnte sich gegen die Tür. Er fand das Holz und Eisen im Rücken beruhigend, während irgendwo links von ihm Erienne ihre Sprüche murmelte.
»Gib Licht«, sagte sie schließlich, und es wurde langsam hell. Das Licht kam aus einer Kugel, die wuchs, bis sie ungefähr die Größe von Wills Kopf hatte. Es war für ihn in diesem Moment das Schönste, was er je gesehen hatte.
Dann sah er die Grabkammer. Es war ein langer, schmaler und kalter Raum, der sich weiter erstreckte, als Eriennes Lichtkugel reichte. In drei Reihen übereinander waren links und rechts auf Absätzen steinerne Sarkophage gelagert. Hier drückte das Mana schwer wie noch nie. Die kurze Erleichterung, als das Licht die Kammer erhellte, wich schlagartig diesem Eindruck von ungeheurer Macht. Unwillkürlich wich er zur Tür zurück. Er keuchte und sah sich hilfesuchend zu Thraun um, doch auch der große Mann litt, und die gebeugten Schultern sprachen eine deutliche Sprache.
»Erienne …«, begann Will. Er errötete. Seine Beine zitterten vor Anstrengung, so schwer war es allein schon, den Körper aufrecht zu halten.
Die Dordovan-Magierin nickte. »Es tut mir leid, Will, ich wusste selbst nicht, dass es so stark ist. Lass dir ein Weilchen Zeit, dann ist es besser zu ertragen. Wir müssen noch ein Stück laufen.«
Will schnitt eine Grimasse und löste sich von der Tür. Mit aller Kraft konzentrierte er sich auf den dunklen Bereich der Grabkammer, der vor ihnen lag.
»Es existiert nur im Bewusstsein«, sagte er sich.
»Nein, ganz so ist das nicht«, widersprach Erienne. »Das Mana ist eine Kraft, die die Natur kontrolliert und sich ihr anpasst. Es ist eine physische Kraft, und wie du gerade bemerkst, ist es in hoher Konzentration auch körperlich spürbar. Manche Menschen ziehen es an, und diejenigen, die es aufnehmen und formen können, sind Magier wie ich.«
»Danke für die Hilfe und die Belehrung«, murmelte Will.
»Vergiss nicht, dass es in diesem Zustand harmlos ist. Es sind die Magier, die es formen und instabil und gefährlich
machen. Lasst uns gehen.« Sie schritt an der Reihe der Gräber entlang. Meister der Überlieferung und Lords der Magier, einige schon vor Jahrhunderten verstorben. Die Lichtkugel begleitete sie und schwebte ein Stückchen rechts über ihrem Kopf in der Luft.
Will und Thraun folgten ihr, so rasch sie konnten, mit gebeugten Köpfen, als trügen sie schwere Lasten.
Jandyr stürmte in die Stallungen des Gasthofs und suchte den Verschlag, in dem sein Pferd stand.
Ein rascher Wortwechsel mit dem Stalljungen, ein paar Münzen, die den Besitzer wechselten, und Jandyr hatte alle Informationen, die er brauchte, und dazu einen Hafersack für sein Pferd.
Er löste Bogen und Köcher von den Riemen am Sattel, lief in den Abend hinaus und folgte der Wegbeschreibung, die er bekommen hatte. Freilich hatte er noch keine Ahnung, was er tun sollte, wenn er an seinem Ziel eintraf. Irgendetwas würde sich schon ergeben, so lief es jedenfalls normalerweise.
Für Denser war das Mana, das um das Kolleg von Dordovan strömte, ein Leitstrahl aus weichem, orangefarbenem Licht, das die Lichter der Stadt überdeckte. Die Schattenschwingen flappten langsam und trugen ihn stetig und rasch seinem Ziel entgegen. Mit einer Hand hielt er seine Kappe auf dem Kopf fest, mit der anderen hinderte er das Schwert daran, gegen sein Bein zu prallen. Im Fahrtwind hatte er die Augen halb geschlossen.
Alle Gedanken an Dawnthief und an die Rettung Balaias waren aus seinem Kopf verschwunden. Irgendwo im Kolleg war sein Hausgeist, ein unersetzlicher Bestandteil seines Seelenlebens und seines Bewusstseins. Niemand durfte
ihm diesen Teil wegnehmen. Er schickte einen beruhigenden, tröstenden Gedanken aus und hoffte, dieser könne den Mana-Käfig durchdringen, in dem der Hausgeist festgehalten wurde.
Über dem Kolleg und dem zentralen Bauwerk, dem Turm, kam er langsam herunter. Der Turm war in Wirklichkeit ein hässliches, gedrungenes Haus, das den Namen nicht verdiente, den man sonst nur den mächtigen Gebäuden der großen Magier gab. Doch in Dordover wusste man nicht um die bündelnden Kräfte, die ein Turm seinem Bewohner schenken konnte, wie man auch viele andere Dinge nicht recht verstand. Beispielsweise die Reaktionen, die der Diebstahl eines Hausgeistes bei seinem xeteskianischen Besitzer auslösen musste.
Ungefähr fünfzig Fuß über dem höchsten Punkt kreiste Denser um den
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