Der Bund des Raben 01 - Dieb der Dämmerung
im Spiel ist«, erklärte Ilkar. »Aber davon mal abgesehen – nein.«
»Hmm«, machte Gresse nachdenklich. »Interessant. Übrigens, vielen Dank für Eure Hilfe gestern. Wie ich hörte, habt Ihr einen Mann verloren. Das tut mir leid.«
»Wenn wir ehrlich sind, dann ist dies ein Risiko, das wir immer und jederzeit eingehen«, sagte Hirad. Besonders überzeugt klang es freilich nicht.
»Dennoch, es schmerzt sicherlich, einen Freund zu verlieren. Es tut mir leid, und ich bin Euch dankbar. Die gestrige Schlacht war eine, die zu verlieren ich mir auf keinen Fall leisten konnte. Ich meine dies ganz wörtlich.«
»Das klingt fast wie eine Durchhalteparole.«
Gresse zuckte mit den Achseln. »Burg Taranspike ist von großer taktischer Bedeutung. Wer sie hält, beherrscht das Wegerecht für eine der Hauptrouten nach Korina. Hätte ich die Festung an Baron Pontois verloren, dann könnte er jetzt meine beiden wichtigsten Transportwege in die Hauptstadt kontrollieren und besäße Ländereien zu beiden Seiten meines Besitzes. Er könnte mir den Zugang verweigern oder
unmöglich hohe Zölle verlangen. Beides hätte mich mit der Zeit in den Ruin getrieben. Die beste Ausweichroute ist nicht nur einige Stunden, sondern mehrere Tage länger.«
»Es sei denn, Ihr hättet Euch entschlossen, die Festung zurückzuerobern«, sagte Hirad.
»Diese Möglichkeit besteht immer. Es ist teuer, aber diese Möglichkeit besteht.« Gresses Gesicht wurde hart.
»Und dennoch setzt Ihr Euch mit Pontois in der Handelsallianz von Korina an einen Tisch.«
»Ja. Ich weiß schon, es klingt seltsam, aber so ist die Realität. Und da liegt auch das Elend der Allianz. Dieses Wort hat heutzutage einen seltsamen Beiklang«, sagte er mit einem traurigen Unterton.
Die Männer am Tisch schwiegen eine Weile. Der Unbekannte Krieger musterte den Baron und trank Kaffee. Schließlich lächelte der große Kämpfer. Gresse bemerkte es und runzelte die Stirn.
»Es scheint mir, als hättet Ihr vergessen, uns zu erzählen, welche Gerüchte Ihr selbst gehört habt«, sagte der Unbekannte.
»In der Tat, und es kann sogar sein, dass ich mehr habe als bloße Gerüchte. Ich habe leider Beweise dafür, dass die Wesmen die Ortschaften nicht etwa niederbrennen, sondern sie vielmehr erneut unterwerfen, ausbauen und vereinen.«
»Was meint Ihr mit ›erneut‹?«, fragte Hirad.
»Ich kann dir später noch Nachhilfe in Geschichte geben«, warf Ilkar kopfschüttelnd ein.
»Wie könnt Ihr nur …« Denser biss sich auf die Unterlippe und ließ den Satz unvollendet.
»Wolltest du etwas sagen, Xetesk-Mann?«, grollte Hirad.
»Ich habe mich nur gewundert, wie er an diese Informationen kommen konnte.« Densers Ausrede wurde von
einem Gesicht, das seine Überraschung zeigte, Lügen gestraft.
»Alles hat seinen Preis«, erwiderte Gresse gelassen. »Darf ich heute Morgen mit Euch nach Korina reiten?«
»Seid unser Gast«, erklärte Hirad. »Denser zahlt genug.«
»Gut.« Gresse stand auf und warf Hirad einen fragenden Blick zu. »Mein Gefolge wird in etwa einer Stunde marschbereit sein, wenn es Euch recht ist.«
»Das passt uns sehr gut«, antwortete der Unbekannte. »Meine Herren, der Krähenhorst wartet.«
Erienne und der Hauptmann trafen sich in der Bibliothek. Der von zwei Kaminfeuern und einem Dutzend Lampen erhellte Raum, diese makellos gepflegte Heimstatt der Bücher, war ein beredtes Zeugnis seiner Bildung, wenngleich nicht unbedingt seiner Moral.
Fünf Fächer hoch und an drei Seiten des Raumes etwa fünfzehn mal fünfundzwanzig Fuß groß ragten ringsum volle Bücherregale auf. Links und rechts neben der einzigen Tür brannten Feuer in Kaminen. Teppiche bedeckten den Boden, und ein Lesepult nahm das hintere Ende der Bibliothek ein. Man hatte Erienne angewiesen, in einem großen grünen Ledersessel vor einem der Kaminfeuer Platz zu nehmen. Der Hauptmann kam in Begleitung eines Bewaffneten, der ein Tablett mit Wein und Essen trug. Er hüllte sich in Schweigen, bis er sich auf einem ähnlichen Sessel niedergelassen hatte, der im rechten Winkel zu ihrem aufgestellt war.
Sie hatte den Blick aufs Feuer gerichtet, um nicht ihn ansehen zu müssen. Sie blieb ins Spiel der Flammen vertieft und hörte kaum das Klirren der Gläser, das Gluckern des Weins, als er eingeschenkt wurde, und das Kratzen des Messers auf der Aufschnittplatte.
»Ich heiße Euch noch einmal willkommen, Erienne Malanvai«, sagte der Hauptmann. »Ihr müsst hungrig sein.«
Eriennes Blick
Weitere Kostenlose Bücher