Der Bund des Raben 01 - Dieb der Dämmerung
»Ich denke, es steht uns nicht zu, in andere Dimensionen einzudringen. Wir haben unsere eigene, und die ist schon schwer genug zu kontrollieren, auch ohne Verbindungen zu anderen Orten und anderen Zeiten. Ich sehe grässliche Szenarien vor mir, in denen andere hier bei uns eindringen, um sich für das zu rächen, was wir ihnen angetan haben. Niemand wird mehr sicher sein, weil jederzeit irgendwo und irgendwann eine Tür geöffnet werden kann.«
»Das ist erst recht ein Grund, die Forschungen voranzutreiben und unser Verständnis zu vertiefen«, sagte Erienne.
»Wir sind doch nicht so naiv anzunehmen, dass die Magier von Dordover oder Xetesk diese Magie erforschen, weil sie dem Volk von Balaia etwas Gutes tun wollen, oder? Die Vorstellung, Ihr könntet Türen öffnen, die zu schließen Ihr nicht imstande seid, bereitet mir allerdings großes Unbehagen.« Der Hauptmann kratzte sich am Ohr. »Nun sagt mir: Ist Xetesk weiter fortgeschritten als Dordover?«
Erienne starrte ihn fassungslos an. »Wenn und falls die fehlenden Abschnitte von Septerns Dimensionstexten gefunden werden, dann könnten wir uns gezwungen sehen, eine gemeinsame Forschungsgruppe zu bilden«, sagte sie langsam. »Bis dahin bleibt die Kommunikation allerdings auf ein Minimum beschränkt.«
»Ich verstehe.«
»Es ist dumm, so etwas einen Magier aus Dordover zu fragen.«
»Manchmal fördert die größte Dummheit die schönsten Edelsteine zutage.«
Die Tür wurde geöffnet, und ein Mann brachte einen Krug Wasser und zwei Gläser herein. Er stellte beides auf dem Tisch ab und zog sich zurück. Erienne schenkte sich ein und trank das Glas in einem Zug aus.
»Gibt es sonst noch etwas?«
»Oh, eine Menge sogar«, erwiderte der Hauptmann. Er leerte sein Weinglas und füllte es gleich wieder auf. »Ich habe gerade erst begonnen, auch wenn ich dankbar annehme, was Ihr mir bisher gesagt habt. Ich sollte Euch vielleicht zu Euren Kindern gehen lassen, aber denkt über eines nach. Wenn man annimmt, dass Ihr bereits alles wisst, was man über die Dimensionsmagie in Erfahrung bringen kann, dann finde ich das neuerdings aufkommende Interesse an Septerns Forschungen mehr als beunruhigend. Andererseits war die Dimensionsmagie nicht der einzige Bereich, in dem er seine Forschungen betrieben hat. Es gibt einen Punkt, der sogar noch wichtiger ist. Er hat einen ganz bestimmten Spruch erschaffen, nicht wahr? Ich möchte gern wissen, warum Xetesk plötzlich alles daran setzt, diesen Spruch zu finden.«
Eriennes Gesicht wurde leichenblass.
5
Der Rabe und seine Schutzbefohlenen brachen auf, als die Sonne gerade am Tau zu lecken begann, der das Gras auf dem gestrigen Schlachtfeld benetzte. Der Regen der vergangenen Nacht hatte sich nach Westen verzogen, über die zentrale Ebene hinweg in Richtung der Blackthorne-Berge, die als dunkle Linie am Horizont zu erkennen waren.
Ein sanfter Wind wehte an diesem Frühlingsmorgen. Baron Pontois, seine Soldaten, die Söldner und die Magier waren fort, nach Norden durch den Grethern-Wald verschwunden, aus dem sie gekommen waren. Von ihrem Lager waren nur noch niedergetrampeltes Buschwerk und ein einzelner, mit Pfählen abgegrenzter Erdwall zu sehen, in dem sie ihre Toten begraben hatten.
An der Spitze der kleinen Truppe ritten Hirad, Richmond und Ilkar. Baron Gresse hatte sich zum Unbehagen seiner Leibwächter entschlossen, zwischen Talan und dem Unbekannten Krieger zu reiten. Denser und Sirendor Larn folgten hinter diesem zweiten Trio, und Gresses vier Bewaffnete bildeten die Nachhut.
Für den Baron war dieser Ritt gewiss eine willkommene Gelegenheit, seiner übermäßig besorgten Familie zu entfliehen und frei durchs Land zu reisen. Der Unbekannte und Talan dagegen konnten auch hier nicht von ihrer Gewohnheit lassen, so viele Informationen wie möglich aus so vielen Quellen wie möglich zu sammeln.
»Seid Ihr denn noch mit Blackthorne verbündet?«, fragte Talan.
Gresse nickte. »Wir haben uns gegenseitig freies Geleit gewährt, aber ich würde das nicht unbedingt ein Bündnis nennen. Er reist, ohne Zoll zahlen zu müssen, über diesen Pass nach Korina, und ich habe auf seinem Land bis Gyernath ähnliche Rechte.«
Der Unbekannte runzelte die Stirn. »Hat er östlich von Gyernath Land besetzt? Ich habe gehört, er …«
»Vor sechs Monaten schon. Er hat inzwischen fast ganz Gyernath annektiert, auch wenn der Stadtrat erheblichen Druck auf ihn ausübt, damit er die Wegezölle niedrig hält. Bis jetzt waren die
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