Der Bund des Raben 02 - Jäger des Feuers
schnell zu bewegen, damit der Mann-Rudelbruder nicht ausglitt.
Oben auf der Anhöhe hob er die Schnauze in die Luft und schnüffelte. Die Gerüche des Salzwassers da unten störten ihn nicht. Die Düfte des Landes und seiner Bewohner entfalteten sich vor ihm wie eine Landkarte. Er wandte sich an den Mann-Rudelbruder, der irgendwelche Laute von sich gab. Der Mann-Rudelbruder kniete vor ihm und nahm sein Gesicht in beide Hände. Er knurrte, ein wenig amüsiert und auch etwas gereizt.
Der Mann-Rudelbruder sagte ein Wort zu ihm. Er wusste, dass es ein Wort war, für dessen Verständnis man keine Sprache beherrschen musste. Es lärmte in seinem Kopf, doch die Türen öffneten sich nicht. Seine Gedanken wurden wirr.
Er stand auf den Hinterbeinen, und auf einmal hatte er kein Haar mehr im Gesicht. Er konnte nicht mehr heulen, er konnte aufrecht laufen, ohne zu stürzen. Doch keine Freude kam in seinen Sinnen auf, er spürte das Rudel nicht mehr um sich. Er fühlte sich unbeholfen, aber stark, und er konnte das Land und die Beute und die Bedrohungen ringsum nicht mehr richtig verstehen. Fern waren die Erinnerungen, doch er wusste, es waren seine eigenen. Sie schmerzten in seinem Innern, sie zerrten an seinem Körper und peinigten ihn. Er wusste, dass es einen Weg gab, die Schmerzen zu beenden, doch er wehrt sich dagegen.
Die Schmerzen ängstigten ihn, er reagierte.
Thraun bellte einmal und zuckte vor Wills Berührung zurück; er duckte sich und starrte ihn mit gelben Augen und gebleckten Zähnen an. Ein tiefes, leises, drohendes Knurren entstand in seiner Brust. Will stand erschrocken
auf und wich einen Schritt zurück. Er streckte die Hände aus.
»Thraun, es ist schon gut. Ruhig, ruhig.« Er wich noch etwas zurück.
Hirad hatte den Abhang gerade rechtzeitig erklommen, um das Ende des Austauschs und Thrauns plötzlichen Rückzug zu sehen, der ihn bis dicht an die Kante des Abhangs brachte, sodass er fast wieder zur kleinen Bucht hinuntergerutscht wäre. Hirad hielt den Atem an. Der Wolf spannt sich zum Sprung und starrte Will an. Doch man musste Will zugute halten, dass er genau das tat, was er von Thraun verlangte. Er blieb ruhig. Und schließlich entspannte Thraun sich wieder, schüttelte den Kopf, stand auf und trabte zu einer Baumgruppe.
»Was ist passiert?«, fragte Hirad. Wills Gesicht war kreidebleich in der frühen Morgendämmerung. Er zuckte mit den Achseln. »Ich meine, was hast du getan?«
»N-nichts«, sagte Will. Beinahe begann er wieder zu stammeln, wie er es in den ersten Tagen nach seiner erschreckenden Begegnung mit Densers Hausgeist in Dordover getan hatte. »Ich wollte ihn einfach nur mit dem Befehl zurückholen.«
»Wie lautet er?«
»Erinnere dich .« Will massierte sich mit Daumen und Zeigefinger die Schläfen und schaute dem sich entfernenden Wolf hinterher. »Das sagt er auch zu sich selbst, bevor er sich verwandelt. Es soll seine Erinnerungen auslösen, aber es funktioniert nicht mehr.« Will war verzweifelt. Hirad legte ihm eine Hand auf die Schulter.
»Er wird schon wieder zu sich kommen«, sagte er. »Wahrscheinlich hat er sich jetzt zurückgezogen, um sich zu verwandeln, oder?«
Will drehte sich ganz zu Hirad herum. Er lächelte traurig
und hatte Tränen in den Augen. »Ich glaube nicht«, sagte er.
»Was ist denn dieses Mal anders?«, fragte Hirad. »So wie jetzt hat er doch noch nie reagiert, oder?«
»Nein. Er hasst die Wolfsgestalt. Sein schlimmster Albtraum ist es, in dieser Gestalt gefangen zu bleiben und sich nie wieder zurückverwandeln zu können. Doch in den Jahren, die ich ihn kenne, hat er noch nie das Blut von so vielen Opfern geschmeckt. Ich frage mich, ob das eine Art von Blutrausch ausgelöst hat, der nicht mehr abklingen will, und seine menschliche Seite daran hindert, sich durchzusetzen.«
»Was können wir denn tun?«
Will seufzte. »Das weiß ich nicht. Es gibt keinen Spruch, der ihn zurückholen kann. Sein Zustand ist nicht magisch. Wir müssen warten, und ich muss weiter versuchen, zu ihm durchzudringen.«
»Das ist ein riskanter Weg.«
»Es ist der einzige Weg.« Will sah Hirad an. »Ich will ihn nicht verlieren, Hirad. Das wäre, als würde ich sterben, also will ich es lieber gleich versuchen, und wenn ich dabei sterbe, dann ist das immer noch besser, als allein herumzusitzen und zu warten.«
Hirad nickte. »Ich verstehe.«
»Ich weiß.«
16
Sobald Ilkar, Denser, Erienne und der Unbekannte das flachere Land über der kleinen Bucht erreicht hatten,
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