Der Bund des Raben 02 - Jäger des Feuers
sagte Hirad ein wenig pikiert.
»Diese Waffe stand euch nicht zur Verfügung«, sagte Sha-Kaan, »und sie wurde zu ungenau eingesetzt. Außerdem hast du sie mir gestohlen.«
»Sie war da und musste genommen werden«, erwiderte Hirad. »Und ob ungenau oder nicht, wir haben sie benutzt, um Balaia zu retten.«
Sha-Kaan riss das Maul weit auf und lachte. Das Lachen donnerte über die Torn-Wüste, ließ entsetzte Tiere in Panik fliehen und den Unbekannten auf der Stelle innehalten,
warf Hirad auf den Rücken. Abrupt hörte das Lachen wieder auf, doch es hallte noch einige Augenblicke wie Donner zwischen Parves Gebäuden.
Der gewaltige Drache streckte den Kopf vor, bewegte ihn langsam über Hirads hingestrecktem Körper hin und her und hielt über Hirads Kopf inne. Speichel tropfte aus dem halb geöffneten Maul.
Hirad drückte sich auf die Ellenbogen hoch und blickte in die Augen, die das Licht verschluckten. Der Mut verließ ihn, als er die Fangzähne, die ihm so leicht das Leben nehmen konnten, jeder so groß wie sein Unterarm, so dicht vor sich sah.
»Balaia retten«, wiederholte Sha-Kaan. Seine Stimme war jetzt leise und voller Kälte. »Ihr habt nichts dergleichen getan. Vielmehr habt ihr ein Loch zwischen unseren Welten aufgerissen, das die Kaan nicht ewig verteidigen können. Und wenn wir unterliegen, wer wird euch dann vor der völligen Vernichtung oder elender Sklaverei schützen? Was meinst du?« Sha-Kaan nahm den Kopf wieder hoch. Hirad folgte seinem Blick und sah den Unbekannten und Ilkar und Will und Thraun, die jetzt nur noch wenige Schritte entfernt standen, ängstlich, aber ungebeugt. Hirad lächelte. Stolz erfüllte sein Herz.
»Wer sind die da?«, wollte Sha-Kaan wissen.
»Sie sind der Rabe, oder sein größter Teil.«
»Deine Freunde?«
»Ja.«
Sha-Kaan zog den Kopf etwas zurück und fasste sie alle ins Auge.
»Dann hört mir zu, Hirad Coldheart und der Rabe. Hört mir genau zu, und ich werde euch sagen, was getan werden muss, um uns alle zu retten.«
Lord Tessaya wanderte mit einer Flasche weißem Traubenbrand durch die Stadt Understone. Die vom Kampf aufgewühlten Straßen, in denen Blut und Regen geflossen waren, waren jetzt von der heißen Sonne ausgedörrt. Der Schlamm verharrte in grotesken Formen, die alle an Tod und Zerstörung erinnerten.
Ringsum auf den saftigen grünen Hügeln, welche die Stadt umgaben, war der Lärm der Siegesfeiern zu hören. Dutzende Kochfeuer knisterten, und der Rauch kräuselte sich zum leicht bewölkten Himmel hinauf. Der Lärm von Trainingskämpfen und das laute Lachen, wo Geschichten erzählt wurden, übertönten den allgemeinen Radau, doch einige Geräusche fehlten – die Schreie der Gefolterten, das Weinen der Vergewaltigten und das Flehen der Sterbenden.
Tessaya war es zufrieden. Denn er war nicht nach Understone gekommen, um zu zerstören und zu vernichten. Dieses Schicksal blieb den Kollegien vorbehalten. Nein, er war nach Understone gekommen, um zu erobern und zu herrschen. Der erste Schritt auf dem Weg, der dazu führen sollte, dass er eines Tages ganz Balaia beherrschte. Diese Herrschaft konnte er nun, da die Wytchlords vernichtet waren, allein genießen.
Er wollte nicht mit Angst und Schrecken regieren. In einem Land, das viel zu groß war, um sich von der Hand der Furcht packen zu lassen, käme nur ein Narr auf eine solche Idee. Was er vorhatte, war viel einfacher. Er wollte die Bevölkerungszentren von zuverlässigen Stellvertretern verwalten lassen. Vertrauenswürdige Männer einsetzen, die über das Volk herrschten, Regeln aufstellten und für Gehorsam sorgen, wie es seinen Vorstellungen entsprach. Versammlungen und Gespräche kontrollieren. Die Macht musste sichtbar sein. Die eiserne Hand. Den Leuten keine
Hoffnung lassen, andererseits aber keinen gerechtfertigten Unmut provozieren.
Tessaya nagte an der Unterlippe. Dies stand im Gegensatz zur üblichen Art der Wesmen, doch wie er es sah, hatte die übliche Art nichts als Konflikte und Zersplitterung heraufbeschworen. Wenn die Wesmen Balaia beherrschen wollten, dann mussten sie sich umstellen.
Als er den Ortsrand erreichte, blieb Tessaya einen Augenblick stehen und nahm einen Schluck aus seiner Flasche. Die Straßen vor ihm führten bis tief ins Herz von Ost-Balaia. Die Arterien, denen er auf dem Weg zu seinem Sieg folgen würde.
Zu beiden Seiten erhoben sich sanfte grüne Hänge bis zu der erstaunlichen Ebene, auf der Lord Denebre zu Hause war, sein alter Handelspartner. Dort gab
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