Der Bund des Raben 02 - Jäger des Feuers
Mal, dass du es versäumt hast, mich korrekt anzureden. Hüte dich davor, mich bis drei zählen zu lassen.« Er entspannte sich ein wenig, trank einen Schluck aus seiner Flasche und betrachtete die zornigen Gesichter der Männer.
»Ein beeindruckender Schachzug, auch wenn ich gestehen muss, dass ich meine Zweifel hinsichtlich der Verteidigungsbereitschaft von Parve hatte. Ich fürchte, zu viele erfahrene Schamanen waren der Ansicht, alles andere sei eine Verschwendung guter Kämpfer. Wie viele habt ihr geschickt?«
»Nicht viele. Mein Lord.«
»Wie viele?«
»Vierhundert Berittene, ein paar Protektoren, eine Hand voll Magier und den Raben. Mein Lord.«
Tessaya nahm es zur Kenntnis, bedachte die Zahlen und entschied, dass es viel zu wenige waren, um Parves Verteidigung in Bedrängnis zu bringen, von den Wytchlords ganz zu schweigen. Er legte übertriebene Annahmen über die Macht des Magier-Kontingents zugrunde, und es passte immer noch nicht. Ein beunruhigender Gedanke schob sich in den Vordergrund. Er hatte die Macht des Spruchs gesehen, mit dem der Understone-Pass überflutet worden war, diese Wasser-Magie, der so viele seiner Stammesgefährten zum Opfer gefallen waren. Hatten sie etwas ähnlich Scheußliches oder sogar noch Schlimmeres benutzt, um die Wytchlords zu vernichten?
Er schauderte innerlich. Gerüchte über den Versuch, einen Spruch von legendärer Kraft zu finden, den Spruch,
den die Schamanen ›Tia-fere‹ nannten, den Nachtbringer, hatten drei Monate zuvor Zweifel aufkommen lassen, ob die Invasion noch sinnvoll sei. Doch wenn der Spruch entdeckt worden wäre, dann wäre Tessaya gar nicht erst bis Understone gekommen.
»Der Rabe.« Tessaya dachte über die Truppe nach. Gute Krieger waren sie, die man nicht unterschätzen durfte, wie es anscheinend die Wytchlords und ihr Kreis von kriecherischen Schamanen getan hatten.
»Warum ist der Rabe nach Parve gereist?«, fragte er.
»Ist das nicht offensichtlich?« Wieder setzte Kerus seinen überheblichen Gesichtsausdruck auf. »Sie hatten das Werkzeug bei sich, um Eure Herren zu vernichten. Ebenfalls ist offensichtlich, dass sie Erfolg hatten. Mein Lord.«
Tessaya war, was die wahrscheinliche Vernichtung der Wytchlords anging, nicht sonderlich beunruhigt. Er begrüßte allerdings die Tatsache, dass die Schamanen, nachdem sie ihr Feuer verloren hatten, wieder die Position einnahmen, die ihnen zustand, im Schatten hinter den Stammesfürsten und Kriegern.
Sorgen bereitete ihm dagegen die Tatsache, dass ein paar hundert Mann und einige Magier bis ins Herz des Reichs der Wesmen eingedrungen waren. Dazu brauchte es eine Menge taktisches Geschick, Kampfkraft und Mut.
Tessaya lief es kalt den Rücken herunter, als ihm bewusst wurde, wie alles zusammenpasste. Er konnte die Gerüchte verstehen – die Schattenkrieger, die im Hochland umgingen, die schrecklichen Kräfte, die im Süden von Parve zugeschlagen hatten, die Reiter, die niemals zu reiten aufhörten.
Das alles war nach der Überschwemmung des Passes geschehen.
Ein neuer Schauer fuhr ihm durch die Knochen. Nur ein Mann konnte kühn genug sein, mit nicht mehr als ein paar hundert Mann im Gefolge nach Parve vorzustoßen.
»Wer war der Kommandant, der am Pass gestorben ist?«, fragte er.
»Neneth, mein Lord.«
»Und der Anführer der Kavallerie war Darrick.«
»Allerdings, mein Lord. Und er wird zurückkommen, darauf könnt Ihr Euch verlassen.«
Kerus’ Worte verfolgten Tessaya den ganzen Weg, als er wieder durch die Hauptstraße von Understone lief.
3
Barras fand einen kleinen glücklichen Moment, eine Oase in der Wüste der Hoffnungslosigkeit, als die Wesmen den entscheidenden Vorstoß durch die Verteidigung von Julatsa unternahmen.
Für ihn gab es nichts Schöneres als den Anblick der Sonne, die über dem Turm des Kollegs von Julatsa aufging. Zu beobachten, wie die Dunkelheit aus allen Winkeln der Gebäude floh, bis das Licht auf den Dachfirsten funkelte, und dann nach Westen zum Triverne-See blicken zu können und den Geburtsort der Magie Balaias vor den dunklen Blackthorne-Bergen im Hintergrund schimmern zu sehen.
Er neigte zu der Ansicht, dass nichts auf der Welt ihn aus der Ruhe bringen könne, solange er diesen Anblick genießen durfte. Doch dann durchbrachen die Wesmen die Verteidigungslinien der Julatsaner, und ihm wurde bewusst, dass er diesen Ausblick vermutlich zum letzten Mal zu Gesicht bekommen hatte, wenn sie nicht bald ihre letzte Verteidigung in den Kampf warfen.
Eine
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