Der Bund des Raben 02 - Jäger des Feuers
war bleich und sichtlich erschüttert, und zum ersten Mal, seit er ihn kannte, empfand Hirad ein wenig Mitgefühl für ihn.
Die Kaan hatten die Schlacht am Himmel mit knapper Not gewonnen. Hirad hatte Sha-Kaans Kummer gespürt, als dieser darüber gesprochen hatte, wie sie ihren Angriff auf eine andere Brut, die Veret, konzentriert hatten. Die Kaan hatten sie vertrieben und ihren Kampfgeist gebrochen und damit auch das noch frische Bündnis zwischen den Bruten geschwächt. Schließlich war er auch von seiner vorherigen Einschätzung abgerückt und hatte vier Kaan eingeteilt, die den Raben unterwegs beschützen sollten,
auch wenn dies unweigerlich die Aufmerksamkeit der feindlichen Bruten erregte.
So waren sie gewandert, niedergeschlagen nach ihren Erfahrungen und im Bewusstsein der schrecklichen Zerstörungskräfte, die schon ein einziger Drache entfesseln konnte. Besonders deutlich wurde dies, als sie nach einer weiteren Tagesreise die Ebene verließen und in die Vorberge des Gebirges gelangten, das sie vom toten Wald aus gesehen hatten. Wenn sie zurückschauten, konnten sie die Narben und die offenen Wunden im Land erkennen, die wahrscheinlich nie mehr verheilen würden.
Auf der Ebene schimmerte das Gras nicht mehr hellblau und rot. Unter einer riesigen, wabernden Wolke aus Rauch und Asche loderte es gelb und orangefarben, die Brände verzehrten die erstaunliche Vegetation und fraßen sich erbarmungslos und unersättlich weiter. Wo das Gras abgebrannt war, lag das Land schwarz und verkohlt, freigelegt bis auf die Wurzeln und noch tiefer. Die Pflanzen waren widerstandsfähig und würden wieder ausschlagen, aber das machte den Anblick nicht weniger schrecklich.
»Nur ein Drache«, hatte der Unbekannte gesagt, als sie wie gebannt und stumm den Rauch und die Flammen betrachteten. »Ein einziger nur.« Seine Worte trieben sie zu größerer Eile an.
Jetzt hielt sich der Rabe, wie es sich für den Drachenmann des Großen Kaan und seine Freunde gehörte, ein wenig abseits von den Dienern und blickte zum ersten Mal auf das Brutland der Kaan hinab. Die Bergflanke, die sie hinaufgestiegen waren, lief in eine zerklüftete Hochfläche aus. Ein Vorsprung bot einen guten Ausblick über das Brutland, und nun standen sie dort auf dem überhängenden Fels. Unter ihnen verlor sich die Wand im Dunst. Sie waren in einer anderen Welt.
Links und rechts erstreckte sich vor ihnen ein weites, üppig bewachsenes Tal, dessen Wände gerade eben noch durch den Nebel zu erkennen waren. Dicke Blätter, die an gewaltigen, nur schemenhaft zu erkennenden Ästen saßen, nickten leise. Hirad konnte sich kaum vorstellen, wie mächtig die Stämme waren, die solche Äste trugen. Auf der Oberfläche der Nebelbänke, die ständig in Bewegung waren, spielten orangefarbene Sonnenstrahlen, die hier und dort einen Weg durch die bleichen Dunstschwaden fanden. Hohe Gipfel mit weißen Kappen, die das dunkle Tal umringten, vervollständigten die Idylle.
Hirad sah jedoch mehr als nur die Schönheit der Landschaft. Am Himmel über dem Blätterdach flogen und tanzten die Kaan, bewegten sich mit langsamen Flügelschlägen oder glitten schwerelos dahin, kreisten anmutig oder tauchten mit angelegten Flügeln zwischen die Bäume. Ihre Körper schimmerten golden im orangefarbenen Licht der Sonne, und wenn sie in der Luft wendeten und im Dunst verschwanden, zogen sie Wirbelschleppen aus Nebel hinter sich her.
Und sie riefen. Sie hießen einander willkommen oder nahmen Abschied, ihre Rufe kündeten von Trauer oder Liebe und von unendlicher Hingabe. Hingabe an die Brut und füreinander und für ihr Heim. Die Rufe waren heiser und kehlig, oder es waren gespenstische Schreie, die hohl zwischen den Talwänden hallten. Sie berührten Hirads Herz und erfüllten alle seine Sinne, sie gaben ihm das Gefühl, daheim zu sein und erzählten von einem sinnlosen Krieg, der jeden Tag neue Kaan für immer vom Himmel holte.
Hirad wurden die Beine schwach. Er hockte sich hin, ein Bein untergeschlagen, und stützte sich mit der rechten Hand ab, um sich vorzubeugen und sich umzusehen. So
hätte er den ganzen Tag hocken mögen, um die überwältigende Schönheit der Kaan und ihres Brutlandes in sich aufzunehmen. Als jemand ihm eine Hand auf die Schulter legte, schaute er auf. Es war Ilkar.
»Kann man das glauben?«, fragte Hirad. Er deutete auf die Ehrfurcht gebietende Aussicht, die sich ihnen erschloss, und wollte den Blick nicht mehr von den Kaan, von den Bäumen und von dem Nebel
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