Der Bund des Raben 02 - Jäger des Feuers
über ihrem Tal abwenden. Ein warmer Wind wehte ihm ins Gesicht.
»Und wenn ich fünfhundert Jahre alt werde, dies wird meine letzte Erinnerung sein, wenn ich sterbe«, sagte der Elf, der von der Großartigkeit der Landschaft nicht minder beeindruckt war als Hirad.
»Vergesst Balaia. Die Leute dort reiben sich im Alltagsleben und mit ihren Alltagssogen auf. Das hier ist es, was wir eigentlich retten wollen. Und das hier ist der Grund dafür, dass wir nicht versagen dürfen.« Hirad stand auf und wischte sich die feuchten Augen. Links von ihm blickte Jatha mit einem beinahe ergriffenen Ausdruck hinunter.
»Heimat«, sagte er.
»Seht ihr, was es für sie bedeutet? Er muss es hundertmal gesehen haben, aber jetzt schaut ihn euch an.«
Ilkar nickte. »Wir alle wollen Erfolg haben, Hirad, und deine Gründe sind wahrscheinlich sogar überzeugender als alle anderen, aber ich glaube, wir müssen in Bezug auf unsere Chancen realistisch sein.«
»Erkläre es mir auf dem Weg nach unten. Ich glaube, Jatha will schnell ankommen, und das will ich auch.«
Jatha führte sie zu einer Treppe, die aus dem Stein des Bergs geschnitten war. Sie war steil und mit Moos bewachsen und führte unter dem Überhang durch; sie wand sich durch Felsspalten, hinter Wasserfällen entlang und um gewaltige Baumstämme, deren Blätter den Dunst unten
festhielten und immer dichtere Wolken entstehen ließen, je tiefer sie kamen.
Als sie durch die tanzenden Wolken mit den orangefarbenen Streifen abstiegen, wurde es wärmer und feuchter; sie konnten nicht mehr viel sehen, die Stufen waren feucht und glitschig, und man musste vorsichtig gehen. Jatha und seine Männer stiegen geübt und gewandt nach unten, doch Jatha rief immer wieder »Vorsicht!« durch den Nebel nach oben.
Die Balaianer kamen nicht ganz so leicht voran. Sie stützten sich am Fels ab, über den das Wasser lief, der häufig auch mit einer dünnen, schmierigen Schicht bedeckt war, und hielten sich tunlichst fern von der äußeren Kante.
Hirad ging hinter Ilkar. Er war entschlossen, keine Fragen zu stellen, bis sie aus dem Nebel heraus waren, doch als sie endlich angekommen waren, dauert es lange, bis er etwas sagen konnte. Im Verlauf von einigen wenigen Schritten waren sie unter dem Blätterdach aus dem Nebel herausgekommen und konnten endlich das Brutland der Kaan sehen.
Unter dem Nebel, der ein weiches, warmes Licht auf das Land warf, erstreckte sich eine weite Ebene mit Felsen, Gras und einem Fluss. Friedlich lag das Brutland vor ihnen und bot dem Auge einen lieblichen Anblick. Der Fluss, der sich mitten durchs Tal schlängelte, funkelte blau, und das Rauschen der Wasserfälle war in der stillen, feuchten Luft weit zu hören. Mindestens ein Dutzend Kaskaden, die den Fluss speisten, konnte Hirad zählen. Das Gras wuchs saftig und dunkelgrün und hatte rote und blaue Spitzen wie in der Ebene. Der Wechsel zwischen abgemähten und hüfthohen Wiesen zeigte, dass das Gras kultiviert und geerntet wurde.
Am Rand des Tals standen einige verstreute Gebäude, manche niedrig und gedrungen und halb unterirdisch gebaut, andere in Nischen der Felswände geschmiegt. Sie schienen nach praktischen Gesichtspunkten konstruiert zu sein. Ein wundervolles Bauwerk hob sich im Brutland allerdings von allen anderen ab. Der polierte weiße Stein schimmerte im indirekten Licht, die Kuppel und die Türme reckten sich dem Himmel entgegen und wirkten immer noch winzig vor den wundervoll gearbeiteten Schwingen, deren Spitzen sich oben im Dunst beinahe berührten. Wingspread war ein atemberaubendes Monument. Sha-Kaans in Stein gemeißeltes Gesicht überblickte sein Reich, die Augen forschten wachsam nach Gefahren. So etwas gab es nicht in Balaia, und trotz aller Magie würde es so etwas niemals geben. Dieses Bauwerk war aus Achtung und Verehrung für einen Anführer der Kaan und ihre Vestare entstanden. Die Inbrunst, die hier so freimütig geteilt wurde, war für die Völker der anderen Dimension nicht nachvollziehbar.
Die Balaianer waren unwillkürlich stehen geblieben, um den Anblick in sich aufzunehmen. Hirad warf einen Blick zu Denser, dem die Ehrfurcht deutlich anzumerken war. Erienne sah sich verzückt um, und ihr Lächeln hatte ebenso viel mit der Atmosphäre von Geborgenheit wie mit dem Anblick zu tun. Hirad hatte das Gefühl, wieder zu Hause zu sein. Er schloss die Augen und ließ sich von den Gefühlen der Kaan einhüllen. Er spürte ein Kribbeln am ganzen Körper, als sein Geist von den Gedanken
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