Der Bund des Raben 02 - Jäger des Feuers
vorhersehbar gewesen, doch damit war der Rabe schutzlos, falls Senedai die Protektoren besiegen sollte.
Er ging hinaus und konnte nur hoffen, dass die xeteskianischen Abscheulichkeiten ihrem Ruf gerecht wurden.
Sha-Kaan verließ Wingspread, als das Gestirn vom Himmel zu fallen begann. Der Große Kaan war müde von den Anstrengungen der Schlacht, und da Hirad Coldheart sich jetzt in seiner Dimension aufhielt, stand ihm kein Fusionskorridor zur Verfügung, in dem er sich erholen konnte. Er streckte die schmerzenden Flügel und versuchte, die Höhenwinde zu erreichen. Abermals war er unterwegs zum Shedara-Meer, um Tanis-Veret aufzusuchen, falls der Brutälteste überhaupt noch lebte.
Die kalte Luft klärte Sha-Kaans Gedanken. Die hohe Geschwindigkeit trieb sie ihm wie Eis in die Lungen, wenn er den Mund zum Atmen öffnete. Sie kühlte auch seinen Zorn über Hirad Coldhearts Worte. Nach einer Weile konnte er sogar durch den Schleier seines eigenen Verstandes
blicken und erkennen, was die Worte seines Drachenmannes wirklich bedeuteten.
Sie brachten ungewöhnliche Gefühle zum Vorschein. Sha-Kaan war daran gewöhnt, dass man seine Befehle ohne Fragen oder Fehler ausführte. Doch der Rabe hatte ihm erklärt, dass der Erfolg in diesem Fall keineswegs sicher war, und Hirad hatte ihm einen balaianischen Gedanken aufgezeigt, der ihm völlig fremd war – die Tatsache nämlich, dass es genug sein musste, wenn ein Mensch sein Bestes gegeben hatte, auch wenn es bedeutete, dass man scheiterte oder gar den Tod fand. Sha-Kaan hatte mit Verachtung reagiert. Er hätte den winzigen Menschen auf der Stelle töten können, doch abermals hatte Hirad ihn mit unausweichlicher Logik aufgehalten.
»Töte mich, und du wirst nie erfahren, ob wir Erfolg gehabt hätten. Du wirst sterben. Wenn wir scheitern, dann sterben wir sowieso alle, und dein Wunsch wird so oder so erfüllt.« Er hatte es ruhig gesagt, und Sha-Kaan hatte gelacht, doch die Worte hatten seinen Zorn nicht verfliegen lassen. Noch nicht.
Jetzt, als er zu einem Treffen flog, das Früchte tragen musste, konnte er verstehen, welche Anstrengungen der Rabe auf sich genommen hatte. Er spürte ihren Willen, Erfolg zu haben, und er wusste, dass sie sich der Folgen des Scheiterns für sich selbst, für Balaia und für die Kaan durchaus bewusst waren. Doch etwas zu wissen und etwas zu tun, das waren zweierlei Dinge.
Wieder zuckte ein ganz neues Gefühl durch seinen Körper. Er hatte große Angst. Er hatte schon vorher Angst gehabt – vor Verletzungen, vor dem Zorn der Ältesten, oder dass seine Nachkommen sterben könnten, bevor sie erwachsen waren. Diese Angst aber war anders. Es war die Furcht, dass die ganze Brut Kaan ausgelöscht werden
konnte, und dass die Brut Kaan nicht über die Mittel verfügte, dies zu verhindern. Der Rabe hatte diese Mittel.
Der Rabe musste um jeden Preis beschützt werden, was bedeutete, einige Wachen vom Tor abzuziehen. Er hatte zu wenig gesunde Drachen. Elu-Kaan schwebte immer noch in Lebensgefahr und war auf die ständige Pflege der Vestare angewiesen. Alle Fusionskorridore waren in Gebrauch. Die Kaan brauchten Hilfe, und es gab nur noch eine Brut, die vielleicht umgestimmt werden konnte. Tragisch war nur, dass die Kaan in der letzten Schlacht vor allem die Veret bekämpft hatten, weil sie wussten, dass sie die Umklammerung durch die Naik brechen konnten, wenn sie die Veret vertrieben. Es hatte funktioniert, aber wenn die Veret ihn jetzt abwiesen, dann wären Tod und Leiden ganz umsonst gewesen.
Als tiefe Nacht über dem Shedara-Meer herrschte, stürzte er aus dem Himmel. Er fürchtete fast, die Kaan hätten ihre Arbeit allzu gründlich getan. Kein Wächter flog ihm entgegen, kein Veret kam, um Rache zu üben. Niemand kontrollierte die Grenzen in der Luft, und das Wasser unter ihm blieb ruhig.
Er landete auf dem Fels, der als Treffpunkt diente, steckte den Kopf ins Wasser und stieß in die undurchdringlichen Tiefen hinein einen Schrei aus. Mit seinen Gedanken suchte er Tanis-Veret und sandte ihm seinen Kummer und seine Verzweiflung über das, was sich am Himmel über Teras ereignet hatte. Er sendete, was er brauchte, und schrie, dass es eilig sei. Er konnte nur zum Himmel beten, dass der Brutälteste ihn hörte.
Sha-Kaan zog den Kopf zurück und legte sich flach, mit weit ausgestrecktem Hals, auf den Stein. So blieben die Muskeln gestreckt, und von oben gesehen wirkte dies wie eine unterwürfige Haltung. Noch wichtiger war, dass er
mit dem
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