Der Bund des Raben 02 - Jäger des Feuers
hatte geahnt, dass es so kommen würde. Obwohl die Schamanen sich große Mühe gegeben hatten, ihn davon abzubringen, hatte er alle seine Brieftauben mitgenommen und darauf bestanden, dass seine Generäle seinem Beispiel folgten. Seiner Voraussicht war es zu verdanken, dass die Kommunikation auch jetzt noch schnell und wirkungsvoll
vonstatten gehen konnte, doch zuerst mussten die Männer die Vögel in jede Festung der Wesmen in Ost-Balaia bringen. Genau darin lag aber auch das Risiko.
Wenn er es richtig einschätzte, waren die Streitkräfte des Ostens an den Blackthorne-Bergen aufgerieben worden, und seine Reiter konnten ihre Ziele ohne Widerstände erreichen, sodass die Verbindung bald hergestellt werden konnte. Tessaya befahl einem Wächter, dass seine Reiter antreten sollten, dann zog er sich rasch Hemd und Lederrüstung an und inspizierte die Truppe auf der festgetrampelten Erde vor dem Gasthof von Understone.
Es war ein heller, klarer Morgen. Ein kühler, sanfter Wind wehte von den Blackthorne-Bergen herüber, die sich düster und dunkel vor dem Meer abhoben. Die Berge hatte er immer gehasst. Ohne dieses elende Hindernis hätten die Wesmen den Osten schon vor Generationen geplündert, und die Magie wäre nie entwickelt worden.
Die Geister waren unfreundlich gewesen, als sie das mächtige Gebirge dem Eroberungswillen der Wesmen als unverrückbares Hindernis in den Weg gelegt hatten. Tessaya wandte das wettergegerbte Gesicht von den endlosen Meilen schwarzer Felsen ab, als er hinter sich Schritte hörte. In Begleitung von Arnoan, dem Schamanen, kamen seine Reiter. Tessaya verzichtete darauf, den Mann finster anzuschauen. So sehr er Arnoan auch respektierte, er musste dafür sorgen, dass er an wichtigen Entscheidungen keinen Anteil mehr hatte. Die Eroberung war etwas für Krieger, nicht für Hexendoktoren.
»Mein Lord«, sagte Arnoan und neigte den alten Kopf. Tessaya begrüßte ihn knapp und konzentrierte sich auf seine Reiter. Sechs Männer waren es, schlank und durchtrainiert, erfahrene Reiter in einem Volk, in dem das Reiten normalerweise das Vorrecht der Adligen war.
»Drei nach Norden zu Lord Senedai, drei nach Süden zu Lord Taomi«, sagte Tessaya ohne lange Vorrede. »Ihr werdet die Vögel gleichmäßig zwischen euch aufteilen. Im Norden müsst ihr euch in Richtung Julatsa halten, im Süden in Richtung Blackthorne. Ich kann euch nur vier Tage geben, um die Heere zu finden. Ihr dürft nicht versagen. Ob wir in den kommenden Kämpfen siegreich bleiben, hängt zu einem großen Teil von euch ab.«
»Mein Lord, wir werden nicht versagen«, versprach einer.
»Bereitet euch vor. Ich schreibe Botschaften für euch. Seid in einer halben Stunde wieder hier.«
»Mein Lord.« Die Reiter liefen zu den Stallungen, die am östlichen Stadtrand standen.
»Arnoan, hast du einen Augenblick Zeit für mich?«
»Aber gewiss, mein Lord.« Tessaya winkte dem alten Schamanen, vor ihm den Gasthof zu betreten. Drinnen setzten sich die beiden Männer an den Tisch, an dem sie auch am Vortag gesessen hatten.
»Du verschickst Botschaften, mein Lord?«
»Ja, aber ich bin durchaus in der Lage, sie selbst zu formulieren.«
Arnoan reagierte, als habe er eine Ohrfeige bekommen.
»Tessaya, es ist Tradition bei den Wesmen, dass die Schamanen die Kriegsherren beraten, wie es ihnen als den Weisen des Stammes auch zusteht.« Die Stirn des alten Schamanen war tief gefurcht, und das buschige graue Haar flatterte in der Brise, die durch die offene Tür des Gasthofs hereinwehte.
»Unbedingt«, sagte Tessaya. »Doch dies ist keine Stammesangelegenheit. Dies ist ein Krieg, und die Kriegsherren müssen die absolute Kontrolle über alle militärischen Entscheidungen
haben. Dazu gehört auch die Frage, wen sie zu welchem Zeitpunkt als Ratgeber einschalten.«
»Aber seit dem erneuten Aufstieg der Wytchlords haben die Schamanen große Achtung in allen Stämmen erworben«, protestierte Arnoan. Unwillkürlich hielt er sich mit beiden Händen an der Tischkante fest.
»Die Wytchlords sind verschwunden, und die Achtung, die du meinst, beruhte teilweise auf der Angst, die deine Herren gesät haben. Ihr habt keine Magie mehr, ihr könnt kein Schwert schwingen, ihr habt keine Vorstellungen, wie ein Krieg an vorderster Front geführt werden muss«, gab Tessaya ungerührt zurück.
»Dann entlässt du mich, mein Lord?«
Tessaya lenkte ein wenig ein. »Nein, Arnoan. Du bist ein alter Freund, dem ich vertraue, und aus diesem Grund gebe ich dir die
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