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Der Bund des Raben 03 - Kind der Dunkelheit

Titel: Der Bund des Raben 03 - Kind der Dunkelheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Barclay
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an, getrieben von Kräften, deren Ursprung Myriell nicht einmal ahnen konnte. Tief in Lyanna lauerte offenbar etwas Bösartiges, das gefunden und zerstört werden musste. Das Bewusstsein des Mädchens war in orangefarbenes Licht gebadet, das von dunkelbraunen Flecken durchsetzt war. Sie schien jedoch das Mana auf die richtige Weise zu kanalisieren; sie nahm die ungeordneten Energie auf und erzeugte Formen, die sie als zerstörerischen Strom wieder entließ.
    Myriell formte ein leichtes Mana-Netz und bewegte es vorsichtig in Lyannas Richtung. Sie wollte die Kleine von der Kraft abschneiden, mit der sie die hilflose Aviana attackierte. Undeutlich hörte sie eine Bewegung hinter sich. Ihre Schwester war gekommen und half. Sie bewegte sich weiter, kam aber nicht einmal in Lyannas Nähe. Kaum dass das Mädchen sie spürte, zuckten orangefarbene Mana-Fäden hervor, schlugen das Netz weg und verzehrten dessen Energie. Myriell löste es auf, bevor der Angriff auf ihren Geist durchschlug, und zog sich mit
pochendem Herzen aus dem Spektrum zurück. Vor ihren Augen verschwamm es.
    Lyanna wehrte sich, und Myriell gab sie frei. Das Kind sah sie aufmerksam an und erkannte sie offensichtlich. Myriell hätte beinahe aufgeschrien, als Lyanna zu sprechen begann.
    »Hallo, Myra. Warum haltet ihr mich an diesem dunklen Ort fest?« Es war die Kinderstimme, doch sie klang drohend und breitete sich mit der Kraft eines Sturms im Zimmer aus.
    »Oh, Lyanna, wir halten dich dort nicht fest. Dein Bewusstsein hat dich dorthin mitgenommen, und wir bewachen es, damit es dir nicht wehtut.«
    »Aber ich will nicht mehr im Dunklen sein«, sagte Lyanna. Sie presste ihre Puppe an sich und streichelte sie.
    Myriell runzelte die Stirn. Lyannas Nacht war noch nicht vorbei. Das Mana war keineswegs ruhig. Ihre Kontrolle ging gerade so weit, dass sie selbst nicht mehr verletzt wurde. Was sie freisetzte, war aber alles andere als bewusst geformt und kontrolliert. Sie sollte eigentlich noch ohnmächtig sein und lernen, das Mana zu formen und in sich aufnehmen.
    »Aber du weißt doch, dass du den Wind in deinem Kopf nicht anhalten kannst, oder? Ich weiß, wie einsam es im Dunklen ist, aber das hilft dir, wieder glücklich zu sein.«
    Doch Lyanna schüttelte den Kopf. »Nein. Ana wollte, dass ich dort bleibe, aber ich bin nicht dringeblieben, und etwas in mir hat ihr wehgetan.« Die Tränen rollten ihre Wangen hinunter. »Ich will niemandem wehtun. Deshalb will auch nicht, dass ihr wieder in meinen Kopf kommt.«
    Myriell sah sich um. Ephemere war völlig auf Avianas
leblosen Körper konzentriert, während Cleress ihr zusah und hilflos mit den Achseln zuckte.
    »Und überhaupt«, fuhr Lyanna fort, »Mami kommt bald, und ich muss mir noch die Haare bürsten.«
    Sie schwang die Beine aus dem Bett, ließ sich auf den Boden hinab und marschierte ins Esszimmer hinüber. Die Puppe trug sie in einer Hand. Myriell sah ihr nach.
    »Clerry?«, flehte sie.
    »Ich weiß nicht, Myra. Ich fürchte, wir haben sie verloren.«
     
    Tief im Südmeer, zweihundert Meilen vor Balaias Südküste, geriet der Meeresgrund in Bewegung und brach auf. Druckwellen, wie es sie seit Jahrtausenden nicht mehr gegeben hatten, pflanzten sich bis zur Oberfläche fort. Das Wasser türmte sich auf, bis eine berghohe Welle entstand, der viele kleinere folgten, wie der Hofstaat einem Monarchen folgen mag.
    Die Welle raste nach Norden, eine unwiderstehliche Gewalt von mehreren Meilen Breite. Mühelos donnerte sie übers Meer, ohne an Kraft zu verlieren. Unter ihr bewegten sich die Wasserschichten bis zum Meeresgrund. Große und kleine Bewohner des Meeres flohen und schwammen aus dem Einflussbereich der dahinrasenden Welle, die nach einem Ort suchte, an dem sie brechen konnte. Dieser Ort war Gyernath. Das Wasser ragte turmhoch über dem Land auf und glich einem Raubtier, das sich bereit macht, die Beute anzufallen.
    Die Hafenstadt besaß Schutzvorrichtungen gegen Überflutungen, sogar die besten aller Hafenstädte in ganz Balaia. Sie waren errichtet worden, um die hohen Wellen der Winterstürme abzuhalten und die Wassermassen aus den Straßen der Stadt und den umliegenden
Feldern wieder abzuleiten. Sie waren der Stolz der Hafenstadt und des Stadtrates. Doch keine Verteidigung war stark genug, um eine Welle zu brechen, die hundertfünfzig Fuß hoch und eine halbe Meile tief war.
    Als die Menschen in der Stadt zu rennen begannen, war es schon zu spät. Als das letzte Schiff oben auf der Hauptstraße, fast

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