Der Bund des Raben 03 - Kind der Dunkelheit
gelenkt werden, wenn sie keine unglücklichen Folgen zeitigen sollen.«
»Wie etwa die Erweckung einer magischen Begabung, in der die Kräfte aller Kollegien vereint sind, meint Ihr? Das wäre wohl kaum ein Unglück.« Denser lächelte. »Wenn das geschieht, dann sollten wir feiern.«
»Seid vorsichtig, Denser«, warnte Vuldaroq. »In Balaia ist kein Platz für einen zweiten Septern. Heute nicht, niemals. Die Welt hat sich verändert.«
»Dordover kann für sich selbst sprechen, aber nicht für ganz Balaia. Lyanna kann uns den Weg in die Zukunft zeigen. Uns allen.«
Vuldaroq schnaubte. »In die Zukunft? Die Rückkehr auf den Einen Weg wäre ein Schritt zurück, mein xeteskianischer Freund, und ein einziges begabtes Kind kündigt noch lange keinen solchen Schritt an. Ein Kind alein ist machtlos.« Der alte Dordovaner biss sich auf die Unterlippe.
»Aber nur, wenn Ihr es daran hindert, sein Potenzial zu entwickeln.« Was als scharfe Antwort begonnen hatte, endete in einem Flüstern. »Darum geht es in Wirklichkeit, nicht wahr? Bei allen fallenden Göttern, Vuldaroq, wenn ihr auch nur ein Härchen gekrümmt wird …«
Vuldaroq stand schwerfällig wieder auf. »Niemand wird ihr etwas tun, Denser. Beruhigt Euch. Wir sind Dordovaner, keine Hexenjäger.« Er bewegte sich zur Tür. »Aber findet sie und bringt sie wieder her, Denser. Bald. Glaubt mir, das ist uns allen sehr wichtig.«
»Raus«, murmelte Denser.
»Darf ich Euch daran erinnern, dass dies hier mein Turm ist?«, fauchte Vuldaroq.
»Raus!«, rief Denser. »Ihr habt keine Ahnung, womit Ihr spielt, was? Nein, Ihr habt keine Ahnung.« Denser setzte sich wieder auf seinen eigenen Stuhl.
»Ganz im Gegenteil, Ihr werdet sicher bald feststellen, dass wir es sogar sehr genau wissen.« Vuldaroq blieb noch einen Moment in der Tür stehen, ehe er sich schlurfend zurückzog. Denser lauschte den schweren Schritten, die sich auf dem holzvertäfelten Flur entfernten. Er faltete
den Brief auseinander, den sie anscheinend bisher nicht gefunden hatten, obwohl er in Eriennes Gemächern nicht einmal richtig versteckt gewesen war. Denser hatte gewusst, dass er dort war, an ihn adressiert. Er hatte auch, genau wie sie, gewusst, dass sie ihn nicht finden würden. Keine Instinkte.
Er las den Brief noch einmal durch und seufzte. Viereinhalb Jahre waren vergangen, seit sie vor Septerns Haus auf dem Schlachtfeld gestanden hatten, und doch waren die Rabenkrieger die einzigen Menschen, denen er sich anvertrauen konnte, wenn er Hilfe brauchte, obschon sie stark dezimiert waren. Erienne war verschwunden, und Thraun rannte vermutlich immer noch mit seinem Wolfsrudel im Dornenwald herum. So blieb noch Hirad, mit dem er ein Jahr zuvor einen üblen Streit gehabt hatte. Seitdem hatten sie kein Wort mehr miteinander gesprochen. Dann war da noch Ilkar, der sich in den Ruinen von Julatsa zu Tode schuftete, und natürlich der große Mann.
Denser lächelte. Der Unbekannte Krieger war immer noch der Dreh- und Angelpunkt. Wenn er den ganzen Weg flog, konnte Denser in etwas mehr als zwei Tagen in Korina sein. Ein Abendessen im Krähenhorst und ein Glas roter Blackthorne mit dem Unbekannten Krieger. Eine angenehme Aussicht.
Er beschloss, Dordover im ersten Morgengrauen zu verlassen. Jetzt wollte er läuten, damit in Eriennes Gemächern ein Feuer entfacht wurde. Er hatte noch viel zu tun. Densers Lächeln verschwand. Die Dordovaner würden ihre Suche fortsetzen, und er durfte nicht riskieren, dass sie Lyanna vor ihm fanden. Nicht, dass er dies noch für wahrscheinlich hielt, nachdem er den Brief gelesen hatte, aber man konnte nie wissen. Und solange man nicht
sicher war, schwebte seine Tochter bei genau den Leuten, die Erienne um Hilfe gebeten hatte, in Gefahr.
Das war aber noch nicht alles. Irgendetwas arbeitete in ihm, er konnte es jedoch nicht ans Licht zerren. Es hatte mit Lyannas Erweckung zu tun.
Eine starke Bö rüttelte am Fenster, flaute aber ebenso schnell wieder ab, wie sie aufgekommen war. Denser zuckte mit den Achseln, drehte sich zum Schreibtisch um und machte sich daran, alle Papiere gründlich durchzugehen.
In Korina herrschte viel Betrieb. Der Handel war den ganzen Sommer über hervorragend gelaufen, und der Wechsel der Jahreszeit hatte dem kaum Abbruch getan, abgesehen davon, dass die Zahl der Reisenden und Wanderarbeiter zurückging, nachdem diese der Sonne gefolgt und mit Schiffen zum Südkontinent gefahren waren.
In den ersten zwei Jahren nach dem Krieg hatte es
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