Der Bund des Raben 03 - Kind der Dunkelheit
hören war.«
Der Unbekannte zuckte mit den Achseln. »Wir arbeiten lange genug zusammen, um nicht an Zufälle und glückliche Fügungen zu glauben. Erienne hat Denser einen Brief hinterlassen im Wissen, dass er ihn finden würde und dass wir versuchen würden, ihr zu helfen, falls er uns darum bittet. Wenn sie ihn inzwischen noch dringender braucht, dann versucht sie natürlich, ihn auch von sich aus zu erreichen. Es liegt auch nahe, dass sie ihn dort abfängt, wo er ihrer Ansicht nach auftauchen muss.«
»Kluge Frau«, bemerkte Ilkar.
»Zweifellos«, stimmte der Unbekannte zu. Er richtete sich ein wenig auf und blickte zur kleinen Anhöhe im Zentrum von Greythorne hinüber. »Gestern Abend sind Reiter gekommen. Den geordneten Hufschlägen nach war es die Kavallerie. Wir sollten herausfinden, wer es ist.«
»Zweifellos Dordovaner«, sagte Ilkar finster.
Der Unbekannte nickte. »Höchstwahrscheinlich. Wir könnten ihnen die Leichen ihrer Diebe zeigen, nicht wahr? Wenn Denser wieder zu sich kommt, sehen wir uns etwas um. Halten die Augen und Ohren offen. Es sieht aus, als kämpften wir nicht auf der gleichen Seite. Alles klar?«
»Mami, Mami!« Lyannas anhaltende Schreie weckten Cleress, noch bevor Avianas drängende Botschaft ihr müdes Bewusstsein erreichte. Im Haus der Al-Drechar war es dunkel, als sie zu sich kam, doch schon während sie sich zu orientieren versuchte, hörte sie ein aufgeregtes Gespräch zwischen Elfen der Gilde, das von Ephemeres
strengem Befehl, sich ruhig zu verhalten, unterbrochen wurde.
Als Cleress dann einen Schal um die Schultern gelegt und die Füße in die Sandalen gesteckt hatte und mit wehendem Nachthemd auf den Flur trat, war klar, dass Herendeneth alles andere als ruhig war.
Draußen heulte der Wind vor dem mit Holz vertäfelten Durchgang. Die Bilder klapperten an den Wänden, und die Teppiche auf dem Boden gerieten ins Rutschen. Als Cleress zum Gästeflügel humpelte, wo Lyanna schlief, zerschellte hinter ihr eine Vase auf dem Boden, und irgendwo in einem anderen Gebäudeflügel splitterte Glas.
Vor ihr war Ephy an einer Doppeltür stehen geblieben und sprach mit einem Elfen der Gilde. Cleress erkannte ihn nicht, konnte aber sehen, dass er nickte, sich leicht verbeugte und durch den Flur zu ihr eilte.
»Ephy!«, rief Cleress. Ephemere drehte sich um. Ihr Gesicht war aschgrau und besorgt.
»Lass dir von Aronaar helfen«, rief sie zurück. Sie öffnete die Tür, die der Wind jedoch sofort wieder zudrückte. Der dumpfe Knall hallte durch den ganzen Flur. Ephemere runzelte die Stirn.
Aronaar war inzwischen zu Cleress getrabt. Man sah seinen dunkelgrünen Augen an, dass er vor kurzem noch tief geschlafen hatte, er hatte sich Hemd und Hosen mehr als eilig angezogen und war barfuß.
»Danke«, sagte Cleress und stützte sich auf ihn, um das steife, schmerzende rechte Knie zu entlasten.
»Ihr bestimmt, wie schnell wir gehen können, Lady«, bat Aronaar sie mit höflichem Nicken.
»Dann sollten wir so schnell wie möglich gehen.« Sie näherten sich Ephemere. »Wir folgen dir, Ephy. Ist sie noch im Bett?«
Ephemere zog die Tür wieder auf und blockierte sie mit einem Fuß. Sie nickte.
»Sie sitzt aufrecht, aber sie schläft noch, sagt Ana. Das könnte schwierig werden. Sie läuft Gefahr, völlig die Kontrolle zu verlieren.«
Angst durchzuckte Cleress. Sie verkrampfte sich und schnappte nach Luft.
»Schneller, Aronaar. Viel schneller.«
Sie mussten zunächst einschätzen, wie stark der Mana-Strom und wie heftig das Flackern war und welche Störungen dabei entstanden. Ohne dieses Wissen konnten sie Lyanna unermesslichen Schaden zufügen und Ströme blockieren, die sich zwangsläufig in ihrem Bewusstsein austoben würden, sobald sie keinen Kanal mehr fanden. Als sie durch den Flur zum Zimmer des Mädchens eilte, fragte Cleress sich, ob es nicht sogar schon zu spät sei.
Draußen im Obstgarten war es relativ ruhig, doch alle Fenster, die nach dort zeigten, waren zersprungen. Der Wind schlug ihnen ins Gesicht, zackige Scherben hingen in verzogenen Rahmen, die im böigen Wind pendelten.
Lyannas Schreie drangen wie Dolchstiche auf Cleress ein. Sie konnte sich kaum vorstellen, welche Qualen das Kind litt, während es verzweifelt darum kämpfte, seine erwachenden Kräfte unter Kontrolle zu bringen.
Seit Tagen schon wachten die vier alten Al-Drechar über Lyanna, die in ihrer Nacht versank. Keinen Moment war sie allein in ihrem Bewusstsein. Nur so konnte man beobachten, wie
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