Der Canyon
mit Flüsterstimme an. Warum, fragte sich Corvus, während er für den erlauchten Herrn Direktor ein freundliches Lächeln aufsetzte, wurde in Gegenwart von Königen und Idioten eigentlich immer geflüstert?
Peale kam hinter seinem Schreibtisch hervor, um Corvus mit einem kräftigen, männlichen Händedruck zu begrüßen, wobei er gleichzeitig mit der anderen Hand Corvus' Oberarm packte wie ein schmieriger Vertreter. Dann bat er ihn, auf einem antiken Shaker-Stuhl vor einem marmornen Kamin Platz zu nehmen – und im Gegensatz zu dem Kamin in Corvus' Büro funktionierte dieser sogar. Peale vergewisserte sich, dass Corvus es auch bequem hatte, bevor er sich selbst hinsetzte – eine Zurschaustellung altertümlicher Höflichkeit. Mit der zurückgekämmten weißen Löwenmähne, dem dunkelgrauen Anzug und seiner langsamen, altmodischen Sprechweise wirkte Peale stets, als sei er schon als Museumsdirektor auf die Welt gekommen. Corvus wusste, dass das nur Show war: Hinter dieser vornehmen Fassade steckte ein Mann, der in etwa so kultiviert und feinfühlig war wie ein Wiesel.
»Iain, wie geht es Ihnen?« Peale lehnte sich in seinem Sessel zurück und legte die Fingerspitzen aneinander.
»Sehr gut, danke, Cushman«, sagte Corvus, zupfte an seiner Bundfalte und schlug ein Bein über das andere.
»Schön, schön. Kann ich Ihnen etwas anbieten? Wasser? Kaffee? Sherry?«
»Nein, danke.«
»Ich persönlich genieße ja um fünf gern einen kleinen Sherry. Das ist mein einziges Laster.«
Klar doch. Peale hatte eine dreißig Jahre jüngere Ehefrau, die ihm mit einem der jungen Archäologie-Assistenten Hörner aufsetzte, und wenn man es auch nicht als Laster bezeichnen konnte, dass Peale gern den vertrottelten alten Hahnrei spielte – eine Frau zu heiraten, die jünger war als seine Tochter, war gewiss lasterhaft.
Die Sekretärin brachte ein Silbertablett mit einer bernsteinfarbenen Flüssigkeit in einem kleinen Kristallglas. Peale nahm das Glas und nippte geziert daran. »Graham's '61er Tawny. Ein Göttertrank.«
Corvus wartete und machte ein höflich-neutrales Gesicht.
Peale stellte das Glas beiseite. »Ich will nicht um den heißen Brei herumreden, Iain. Wie Sie wissen, ist wieder ein Posten als Kurator zu besetzen. Die Abteilung wird am Ersten des kommenden Monats mit den Beratungen beginnen. Wir sind ja alle mit dem Ablauf vertraut.«
»Natürlich.«
»Dieses zweite Mal geht es für Sie um alles, wie Sie wissen. Die Abteilung empfiehlt mir einen Kandidaten. Rein technisch betrachtet liegt die Entscheidung bei mir, allerdings habe ich während meiner zehnjährigen Amtszeit als Direktor dieses Museums noch nie die Entscheidung einer Abteilung ignoriert, und ich habe nicht die Absicht, das jemals zu tun. Ich weiß nicht, wie die Abteilung in Ihrem Fall entscheiden wird. Ich habe mit Ihren Leuten nicht darüber gesprochen, und das habe ich auch nicht vor. Aber ich werde Ihnen einen guten Rat geben.«
»Ein Rat von Ihnen ist stets willkommen, Cushman.«
»Wir sind ein Museum. Wir sind Forscher. Wir sind hier zum Glück nicht an einer Universität und müssen keinen Haufen Studienanfänger unterrichten. Wir können uns hundertprozentig unserer Arbeit widmen, und das heißt: Forschen und Publizieren. Es gibt also keine Entschuldigung für mangelnde Veröffentlichungen.«
Er hielt inne und zog eine Augenbraue leicht in die Höhe, als wolle er seine ach so subtile Argumentation unterstreichen, die meist so subtil war wie eine Dampflok.
Peale griff nach einem Blatt Papier. »Das hier ist die Liste Ihrer Veröffentlichungen. Sie sind seit neun Jahren hier, und ich zähle lediglich elf Abhandlungen. Also etwa eine Veröffentlichung pro Jahr.«
»Was zählt, ist doch die Qualität, nicht die Menge.«
»Ich gehöre nicht Ihrem Fachgebiet an, ich bin Entomologe, daher müssen Sie mir verzeihen, dass ich die Qualität Ihrer Arbeit nicht beurteilen kann. Ich zweifle nicht daran, dass dies gute Aufsätze sind. Niemand hat je die Qualität Ihrer Arbeit in Zweifel gezogen, und wie wir alle wissen, war es einfach Pech, dass die Expedition nach Sinkiang nichts erbracht hat. Aber elf? Wir haben hier Kuratoren, die es auf elf Veröffentlichungen im Jahr bringen.«
»Jeder kann so eine Abhandlung runterschreiben. Veröffentlichungen nur um der Veröffentlichung willen. Ich ziehe es vor zu warten, bis ich wirklich etwas mitzuteilen habe.«
»Ach, Iain, Sie wissen, dass das nicht stimmt. Ja, ich gebe zu, auch bei uns gilt manchmal das
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