Der Chancellor
sich etwas mehr erhebt, treibt sie zu uns. Möchte dieselbe Wolke sich doch nicht vorher erschöpfen, bevor sie über uns weggegangen ist!
Gott hat endlich einmal Mitleid mit uns; in großen Tropfen fällt der Regen, so wie aus einer Gewitterwolke. Doch ein solcher Platzregen ist niemals von Dauer, und wir müssen, so schnell es angeht, möglichst viel davon aufzufangen suchen, denn schon färbt ein hellerer Lichtschein den unteren Rand der Wolke über dem Horizonte.
Robert Kurtis hat die halbzerbrochene Tonne so aufstellen lassen, daß sie möglichst viel Wasser aufnehmen kann, und ringsum spannt man die Segel in der Art auf, daß sie die größten Oberflächen bieten.
Wir liegen auf dem Rücken mit offenem Munde. Das Wasser benetzt mein Gesicht, meine Lippen, und ich fühle, daß es in meine Kehle dringt! O, unaussprechliche Freude! Das ist neues Leben, das in mich einzieht! Die Schleimhäute meiner Kehle werden bei dieser Benetzung wieder schlüpfrig, und ich athme die belebende Flüssigkeit fast noch mehr ein, als ich sie trinke.
Zwanzig Minuten lang hat der Regen angedauert, dann löst sich die halberschöpfte Wolke in der Atmosphäre auf.
Wir haben uns gebessert wieder erhoben, ja, »gebessert«. Man drückt sich die Hände, man spricht wieder! Es scheint, als ob wir gerettet wären!
Gott wird uns in seiner Barmherzigkeit noch andere Wolken senden, die uns noch mehr Wasser bringen werden, Wasser, das wir so lange entbehrt haben!
Und auch das Wasser, welches nur auf das Floß gefallen ist, wird ja nicht verdorben sein, denn die Tonne und die Leinwand haben es aufgefangen.
Aber es muß sorgsam aufbewahrt und darf nur tropfenweise vertheilt werden.
In der That, die Tonne enthält jetzt zwei bis drei Pinten Wasser, und wenn wir das noch ausdrücken, was die Segel eingesogen haben, so vermögen wir unsern Vorrath noch bis zu einer gewissen Grenze zu vermehren.
Die Matrosen wollen eben zu jener Operation schreiten, als Robert Kurtis sie durch einen Wink daran hindert.
»Einen Augenblick! ruft er. Wird dieses Wasser auch trinkbar sein?«
Ich sehe ihn staunend an. Warum soll dieses Wasser, das doch nur vom Regen herstammt, nicht trinkbar sein?
Indessen drückt der Kapitän ein wenig von dem aufgesaugten Wasser einer Segelfalte in die Weißblechtasse, kostet dasselbe, und zu meiner größten Verwunderung wirft er diese von sich.
Ich koste nun auch selbst. Das Wasser ist fast noch salzhaltiger, als das Meerwasser selbst!
Es rührt das daher, daß die so lange Zeit dem Einflusse der Wellen ausgesetzten Segel sich mit Salz imprägnirt und dem aufgefangenen Wassereinen sehr hohen Gehalt davon mitgetheilt haben. Das ist freilich ein nicht wieder gut zu machendes Unglück! Doch, sei es! Wir haben ja wieder Vertrauen, und in dem Fasse sind noch einige Pinten Wasser übrig! Dazu ist ja einmal Regen gekommen, – er wird auch wiederkehren!
XLVI.
Am 17. Januar.
– Wenn unser Durst für einen Augenblick gestillt wurde, so erwachte als ganz natürliche Folge davon unser Hunger desto wüthender. Giebt es denn kein Mittel, sich ohne Haken oder Köder eines dieser Haifische zu bemächtigen, welche sich rings um das Floß tummeln? Nein, man müßte sich denn selbst in's Meer stürzen, um mit dem Messer eines dieser Ungeheuer in seinem eigenen Elemente anzugreifen, so wie es die Indianer der Perlenfischereien thun. Robert Kurtis hat daran gedacht, dieses Abenteuer zu bestehen. Wir halten ihn zurück. Die Haifische sind zu zahlreich, und es hieße sich ohne irgend einen Nutzen nur einem gewissen Tode weihen.
Ich mache die Bemerkung, daß, wenn der Durst hinweggetäuscht werden kann, etwa durch Eintauchen in's Wasser oder durch Kauen irgend eines Gegenstandes, es sich mit dem Hunger nicht ebenso verhält, und daß Nichts im Stande ist, die eigentlichen Nahrungsmittel zu ersetzen. Außerdem kann das Wasser Schiffbrüchigen stets durch ein natürliches Ereigniß bescheert werden, z. B. durch den Regen. Wenn man also niemals zu verzweifeln braucht, vorDurst zu sterben, so kann man doch viel leichter durch Hunger wirklich umkommen.
Wir sind nun schon an diesem Punkte angelangt, und einige meiner Gefährten sehen sich gegenseitig mit wahrhaft gierigen Augen an. Man vergegenwärtige sich, auf welchem Abhange unsere Gedanken weiter gleiten und bis zu welchem Grade der Wildheit die durch ein einziges Verlangen gereizten Unglücklichen herabkommen können!
Seitdem die Gewitterwolken, welche uns einen halbstündigen Regen
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