Der Chancellor
zurück. Ich drehe mich um, kaum kann ich mich eines Murrens enthalten, und erkenne den Steward Hobbart.
Jetzt wird mir Alles klar; das eigenthümliche Benehmen Hobbart's, seine verhältnißmäßig gute Gesundheit, seine erheuchelten Klagen. Bei Gelegenheit des Schiffbruchs hat er einigen Mundvorrath zu bergen gewußt, den er in einem Verstecke unterbrachte, und er hat sich genährt, während wir Anderen vor Hunger sterben wollten! O, der Schurke!
Doch nein! Hobbart hat vielleicht ganz klug gehandelt. Ich finde, daß er ein sehr vorsichtiger Mann ist, und wenn er ohne Wissen der Uebrigen etwas an Nahrungsmitteln aufbewahrt hat, so ist das desto besser für ihn... und für mich.
Hobbart ist aber dieser Meinung nicht. Er ergreift meine Hand und sucht mir das Stück Speck wieder zu entreißen, doch ohne ein Wort zu sprechen, da er die Aufmerksamkeit der Anderen zu erregen fürchtet.
Wir kämpfen schweigend, denn ich habe ja dieselbe Ursache, still zu sein. Ich will natürlich nicht, daß noch Andere dazukommen, mir meine Beute abzujagen, und wehre Hobbart mit allen Kräften ab; da höre ich ihn die Worte zwischen den Zähnen murmeln: »Mein letztes Stückchen! Mein letzter Bissen!«
Sein letzter Bissen! Aber er muß um jeden Preis mein werden, und ich packe meinen Gegner an der Gurgel, der unter meinen Händen nach Luftschnappt und bewegungslos zusammensinkt – die Beute ist mein!
Und während ich Hobbart noch immer nieder halte, zermalme ich den Speck zwischen den Zähnen...
Dann lass' ich den Unglücklichen los, krieche wieder fort und nehme meinen Platz am Hintertheile wieder ein.
Niemand hat mich bemerkt. Ich habe einmal gegessen!
XLVII.
Am 18. Januar.
– Ich erwarte den Tag mit einer ganz eigenthümlichen Angst! Was wird Hobbart sagen? Mir scheint, er habe ein Recht dazu, mich zu denunciren! Doch nein! Das ist absurd. Wenn ich das Vorgefallene erzählen wollte, wenn ich sagte, wie gut Hobbart lebte, während uns der Hungertod angrinste, wie er sich so lange Tage ohne unser Wissen genährt hat, seine Gefährten würden ihn ohne Erbarmen zerfleischen.
Und doch... ich wünschte, es wäre erst heller Tag.
Augenblicklich ist mein hungriger Magen befriedigt worden, trotzdem, daß das Stückchen Speck nur klein, nur »ein Bissen«, der letzte war, wie der Unglückliche sagte. Indessen, ich leide jetzt nicht mehr, und doch, ich gestehe es offen, mache ich mir fast Vorwürfe, den erbärmlichen Rest nicht mit meinen Unglücksgefährten getheilt zu haben. Ich hätte an Miß Herbey, an André, an seinen Vater denken sollen... und ich habe nur an mich gedacht!
Der Mond steigt langsam nieder, und bald folgt ihm das erste Morgenlicht. Schnell wird es Tag werden, denn wir befinden uns unter jenen niedrigen Breiten, die weder Morgen- noch Abenddämmerung kennen.
Ich habe kein Auge zuthun können; sobald es einigermaßen hell wird, scheint es mir, als schwanke eine unförmliche Masse in halber Höhe am Maste.
Was mag das sein? Noch vermag ich es nicht zu erkennen und verbleibe ausgestreckt auf meinem Segelbündel.
Doch endlich streifen die ersten Sonnenstrahlen über das Meer, und bald sehe ich einen Körper, der an einem Stricke hängt und den Bewegungen des Flosses folgt.
Eine schreckliche Ahnung überschleicht mich fröstelnd und ich nähere mich dem Maste...
Es ist ein Erhängter; und dieser Erhängte ist – der Steward Hobbart, dieser Unglückliche, und ich, ja ich, habe ihn zum Selbstmorde getrieben!
Ich stoße einen Schreckensschrei aus. Meine Gefährten erheben sich, sehen einen Körper und stürzen auf ihn zu. Ob noch ein Fünkchen Leben in ihm schlummere, darnach fragt Niemand!... Uebrigens, Hobbart ist wirklich todt und sein Körper schon erkaltet.
In einem Augenblicke wird der Strick zerschnitten. Der Hochbootsmann, Daoulas, Jynxtrop, Falsten, noch Andere sind bei der Hand, fallen über den Leichnam her...
Nein! Ich habe nichts gesehen! Ich habe nichts sehen wollen – ich nehme keinen Antheil an dieser entsetzlichen Mahlzeit! Weder Miß Herbey, noch André Letourneur oder sein Vater haben eineErleichterung ihrer Leiden mit diesem Preise bezahlen wollen!
Robert Kurtis? – Das weiß ich nicht... ich habe nicht gewagt, ihn darüber zu fragen.
Die Anderen aber... o, der Mensch verwandelt sich so leicht in ein Raubthier... es ist schrecklich!
Die Herren Letourneur, Miß Herbey und ich, wir haben uns unter das Zelt verkrochen, um nichts mit ansehen zu müssen! Es war schon mehr als zu viel, was
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