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Der Chefarzt

Titel: Der Chefarzt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Argirov Valentin
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der Richtigkeit von Stephans Aussage nagte nach dem Gespräch mit Malvina weiter. Daß sie Partei für Stephan ergriff, überraschte ihn nicht, sie war eine logisch denkende Frau und die Tatsachen sprachen für Stephan. Als er an jenem Abend einen falschen Ton bei ihr zu spüren glaubte, sagte er sich, daß er entschieden zu weit gegangen war. Aufgrund einer vagen Vermutung verdächtigte er seinen Freund und unterstellte seiner eigenen Frau, den Freund in Schutz zu nehmen. Doch waren die Tatsachen wirklich so einwandfrei, fragte sich Bertram. Er überlegte und entschloß sich, reinen Tisch zu machen, nachdem er sich selbst überzeugt hatte, daß der vorzeitige Tod von Violet Girstenbrey nicht auf menschliches Versagen zurückzuführen war. Er wollte die Vorgänge, die sich vor zwölf Jahren abgespielt hatten, im einzelnen rekonstruieren. Dabei rechnete Bertram mit der Schwerfälligkeit der klinischen Routine, die sich nur wenig verändert hatte. Er fing mit seinen Nachforschungen im Operationssaal an, der ersten Etappe einer Gewebeabnahme. Als er sich auf sein Gespräch mit der Oberschwester, die hier die Aufsicht führte, konzentrierte, merkte er die Blicke der Chirurgen, die um diese Zeit an mehreren Tischen operierten.
    Die Oberschwester zeigte sich bedrückt. »Das ist mein letzter Tag hier, Herr Professor. Morgen gehe ich in Pension.«
    Auf seine zögernde Frage antwortete sie bestimmt. »Nein, es hat sich nichts geändert. Das entnommene Material wird von einem Pfleger, genauso wie damals, in die Pathologie gebracht.«
    »Wie?«
    Sie sah ihn belustigt an. »In einem Korb, in einer mit dem Namen beschrifteten Flasche …«
    »Benutzen Sie Spezialgefäße?«
    »Nein, die üblichen, breithalsigen Flacons mit einer Verschlußkappe.«
    »Wieviel Präparate werden gleichzeitig in die Pathologie befördert?«
    »Normalerweise warten wir, bis drei oder vier zusammenkommen. Man operiert auf mehreren Tischen gleichzeitig.«
    »Wer beschriftet die Flaschen?«
    »Ich … schon bevor man den Probeschnitt macht.«
    »Woher kennen Sie die Namen?«
    »Vom Operationsprogramm.«
    »Ich verstehe. Wie kommt das entnommene Gewebe in die Flasche?«
    »Es wird vom Operationstisch hierhergebracht, in einer Nierenschale, die ebenso mit dem jeweiligen Namen beschriftet ist. Wie diese hier …«
    »Was passiert, wenn Sie zwei oder drei Gewebeproben auf einmal bekommen? Sie sagten, es wird auf mehreren Tischen …«
    »Das kann nicht passieren. Dem Pfleger ist es untersagt, zu gleicher Zeit verschiedene Präparate zu mir zu bringen, jeweils nur ein einziges. Ich vergleiche den Namen und verschließe es, bevor er das nächste bringt.«
    Das Läuten des Telefons neben ihr unterbrach sie. Entschuldigend sah sie Bertram an und machte sich Notizen, während sie auf die Durchsage lauschte. Das Ganze dauerte kaum eine Minute. Anschließend sagte sie: »Ich wiederhole: Leider bösartig bei Frau Kluge, Frau Braun und Frau Westerhof. Danke.« Die vor ihr liegenden Namen versah sie mit kleinen, schwarzen Kreuzen, eine, wie es Bertram schien, schicksalhafte Symbolik.

8
    An der Universität gab es eine Gruppe Wissenschaftler verschiedener Fachrichtungen, die versuchten, menschliche Tumore auf Tiere zu übertragen, um die Reaktion dieser bösartigen Geschwulste auf Medikamente und auf Strahlenbehandlung zu prüfen. Sie wollten ohne Belastung des Patienten die Empfindlichkeit der individuellen Geschwulst bestimmen. Nach längeren Versuchen gelang das Experiment bei einem besonderen Laborstamm, den sogenannten thymuslosen ›Nacktmäusen‹. Die Versuchstiere verloren ihre Fähigkeit, Fremdgewebe abzustoßen, nach der Übertragung wuchs das Geschwulstgewebe zu einem respektablen Tumor heran.
    Der Initiator dieser Arbeitsgruppe, die sich ›Tumortransplantationen‹ nannte, war Stephan Thimm. Am Anfang schlug er Bertram als Mitarbeiter vor, die anderen sprachen sich dagegen aus, man zog einen anderen Internisten hinzu. Dieser Vorgang hatte Bertram zutiefst betroffen, er glaubte, die meiste Erfahrung bei der Tumorbehandlung zu besitzen. Im stillen gab er Stephan die Schuld.
    Er selbst gestand sich ungern ein, daß ihm wenig Zeit für wissenschaftliche Arbeit blieb. Den Gedanken, daß er seit Jahren keine einzige Zeile mehr allein schrieb, verdrängte er. Ungeachtet dessen erschien sein Name auf immer mehr wissenschaftlichen Publikationen. Er, der einmal mit Empörung auf einen ähnlichen Vorschlag von Justin Holländer reagiert hatte, tat jetzt das

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