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Der Chinese

Der Chinese

Titel: Der Chinese Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedrich Glauser
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Serviertochter auf den Sprungfedern geschlafen, um ihrem Freunde mit einer Matratze aushelfen zu können. Ein kleines Lächeln brachte Studers Schnurrbart zum Zittern: Sogar die Leintücher hatten die beiden geteilt – das Meitschi eins, der Bub eins – und auch die Decken… Das Mädchen hatte unter dem Federbett gefroren und der Bursche unter der Wolldecke und unter seinem schäbigen Mantel…
    »Wie heißest?«
    »Ludwig Farny.«
    »Bist verwandt mit dem Toten?«
    »Dem Toten?«
    »Ja, weißt du denn nicht, daß der Chine… will sagen; der James Farny gestorben ist?«
    »Der Onkel Jakob?«
    Studer verzog das Gesicht. Warum nur hatte der ›Chinese‹ den gleichen Vornamen getragen wie ein Berner Fahnderwachtmeister?
    »Ja, der Onkel Jakob!«
    »Gestorben? Der Onkel Jakob? Was Ihr nicht sagt… Er war gut zu mir… Und ich hab' sonst niemanden gehabt!«
    »Wo hast du gelebt?«
    »Im Thurgau.«
    »Komm jetzt mit!«
    »Gärn, Herr Studer…«
    »Kennst mich?… Kennst mich schon lang?«
    Ludwig schwieg, seine Augen waren weit aufgerissen. Der Wachtmeister drehte das Licht ab und trat hinaus auf den Gang. Der Bursche folgte ihm.
    Unten im Gang begegneten die beiden dem Wirte. Studer sagte:
    »Ich hab' dir da einen neuen Gast, Brönnimaa. Laß noch ein Bett in mein Zimmer stellen, ins Zimmer vom Farny, verstanden? Und laß eine Scheibe einsetzen – ich hab' eine zerbrochen…«
    »Im Zimmer vom Toten? Im Zimmer vom Toten? Wird nid sy!«
    »Wouwou! Und der hat auch keine Angst. Gäll, Ludwig?«
    »Nenei!«
    Brönnimann hustete, dann wischte er sich mit einem Nastuch die entzündeten Augen und starrte auf den Burschen. Er sagte verächtlich:
    »Was wollt Ihr mit einem Armenhüüsler, Wachtmeister?«
    Ludwig Farny wurde rot und ballte die Fäuste: Studer packte ihn am Arm und schob ihn ins Zimmer. »Ruhig, Bürschli!« sagte er leise. »Laß den alten Beizer nur reden.«
    – Er habe gemeint – und er wandte sich an die Serviertochter –, es sei bequemer, wenn der Ludwig mit ihm zusammen schlafe. Denn es sei ungesund auf Stahlfedern zu liegen. Man könne sich bös erkälten. Während er sprach, beobachtete Studer das Mädchen und sah, daß es rot wurde. Er fand, diese Farbe stehe der Bleichen gut…
    »Ludwig!« rief's Huldi.
    Nun wurde auch der Bursche rot und sein Gesicht drückte Verlegenheit aus.
    »Äh jaa!« meinte Studer. – Und: was denn dabei sei? »Ich hab' ihn gefunden, ich behalt ihn bei mir, denn ich brauch ihn. Basta!«
    »Aber, Herr Studer! Wisset Ihr denn nicht, daß der Ludwig in der vergangenen Nacht, erst gegen Morgen, an mein Fenster gedoppelt hat? Steine hat er geworfen… Gerade in der Nacht, in der unser Gast erschossen worden ist.«
    Ludwig senkte den Kopf. – Ja, das stimme. Aber was denn dabei sei? fragte er. Und leise fügte er hinzu: – Vom Morde wisse er nichts, aber auch gar nichts!
    »Darüber reden wir später«, sagte Studer. »Laß uns jetzt allein, Meitschi! Wir haben z'brichte… Gäll, Ludwig?«
    »Sowieso, Herr Studer!«
    »Setz dich aufs Bett. Ich muß noch etwas suchen.« Ludwig gehorchte schweigend.
    Studer nahm die Wäsche aus dem Schrank – fünf rohseidene Pyjamas, sechs elegante Hemden, ein Dutzend seidener Krawatten, Unterwäsche, wollene und seidene Socken, Nastücher. Die Hausjoppe aus Kamelhaar hing über einem Bügel, neben ihr waren zwei graue Anzüge mit der eingenähten Etikette eines englischen Schneiders zu sehen, und endlich ein pelzgefütterter Wintermantel. All diese Kleidungsstücke legte Studer sorgfältig auf den Tisch und begann ihre Taschen zu durchsuchen. In der Seitentasche der Hausjoppe fand er einen Brief. Er lautete folgendermaßen:
»Amriswil, den 15. Oktober. Mein Lieber! Gönner und Helfer!
    Wie geht es Euch und was macht Ihr immer? Ich hoffe, daß bei Euch stehte Gesundheit und das schöne Wohlsein herrscht. Was bei mir auch ist! Jetzt will ich Euch schreiben, wie es mir gegangen ist bis hierher. Von Gamplingen aus ging ich nach Zürich. Dort blieb ich bis am andern Mittwoch und suchte mir Arbeit. Vergeblich. Ich war genöhtigt, auf den 1. August nach Herisau zu gehen. Dort blieb ich nur 14 Tage. Es war ein Egoist wie kein zweiter. Nachher kam ich nach Amriswil, das war was anders. Ich habe jetzt 13 St. Vieh zu besorgen. 70 Fr. im Sommer, 60 Fr. im Winter und Arbeit in Hühle und Fühle. Dieser Sommer konnte ich das Traktorfahren lehren. Da muß man nicht immer jagen, sondern nur auf den Hebel drücken, aber aufgepaßt heißt es, was mann

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