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Der Chinese

Der Chinese

Titel: Der Chinese Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedrich Glauser
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können!« brummte Studer. »Glaubst du vielleicht, Ludwig, ich hab dich nicht wieder erkannt? Wann ist's gewesen, daß ich dich eingeliefert hab' in Pfründisberg? Vor drei Jahren, vor zwei Jahren?« Studer hatte die Hände gefaltet und blickte zu Boden. Durch die zersplitterte Scheibe sickerte kalte Luft ins Zimmer. »Sag dem Huldi, es soll heizen kommen und dann bring einen Topf mit Kleister mit, so können wir das Fenster vermachen. Nachher kannst du mir deine Geschichte erzählen.«

Die Geschichte von der Barbara
    Die zerbrochene Scheibe war notdürftig gemacht worden, das Öfeli zog nicht schlecht – in ihm knackte das Holz. Studer blickte auf seine Uhr – erst halb sechs. In einer Stunde wollte er dem Hausvater Hungerlott einen Besuch abstatten.
    »Erzähl, Ludwig!« sagte Studer, nachdem er dem andern eine Brissago angeboten hatte. Das Knechtlein und der Fahnderwachtmeister rauchten um die Wette.
    Es war eine einfache Geschichte. Der Ludwig hatte seinen Vater nie gekannt und war darum auf den Namen seiner Mutter getauft worden. Seine Mutter wieder hatte, als das Büblein sechs Jahre alt war, einen Maurer namens Äbi zum Manne genommen. Zwei Kinder gingen aus dieser Ehe hervor, ein Mädchen Anna, das später den Hausvater Hungerlott heiratete, ein Knabe Ernst, der zur Zeit den Jahreskurs der Gartenbauschule Pfründisberg absolvierte – ›absolvierte!‹ sagte Ludwig Farny, und nicht ›absolutierte‹.
    »Der Stiefvater wollte mich nicht daheim, da gab mich die Mutter zu Verwandten aufs Land, zu zwei alten Jungfern. Sie waren beide bei der Heilsarmee, die Martha und die Erika, und ich mußte am Sonntag mit in die Versammlung gehen. Dann aber wurde die Erika krank, ich weiß nicht, ob Ihr das kennt, es war keine körperliche Krankheit, die Erika hat nicht mehr reden wollen und ist schweigsam im Haus herumgeschlichen. Einmal sind ein paar Weiber sie holen gekommen; es hat geheißen, sie habe sich im Walde aufhängen wollen. Dann hat die Mutter nicht gewollt, daß ich noch länger bei der Martha bleibe und ich bin zu einem Bauer gekommen als Verdingbub… Geißen hüten. Stall misten. Am Sonntag ging der Bauer ins Wirtshaus, und da er keine Kinder hatte, prügelte er mich, wenn er heimkam. Ich glaube«, ein leichtes Lächeln entstand um Ludwigs Mund, »der Bauer hätte ganz gern seine Frau verprügelt, aber die war stärker als er und so hat er sich hinter mich gemacht. Es ist nicht schön, Herr Studer, wenn man jeden Sonntag verprügelt wird und auch in der Woche, wenn man keine Freude hat das Jahr durch und die Mutter nicht einmal an Weihnachten kommt. Dann wurde ich zwölf Jahre alt. Ich hatte Hunger. Ich nahm da ein Stück Käse, dort ein Stück Fleisch – einfach weil ich Hunger hatte. Ich glaub', der Bauer hätte nichts gesagt – er war froh, daß jemand da war, den er prügeln konnte. Aber die Frau hat mich beim Gemeindepräsidenten angezeigt, ihr Geiz trieb sie dazu und so hat man mich in die Korrektionsanstalt versenkt. Das war auch nicht schön, Herr Studer, Ihr könnt mir's glauben. Später hab' ich viel Zeitungen gelesen und einmal habe ich eine Illustrierte gefunden, in der unsere Anstalt abgebildet war. In der Illustrierten haben wir ganz schön ausgesehen, aber viel Rechtes habe ich in der Anstalt nicht gelernt. Sie haben alle gesagt, die Meister und der Direktor, ich sei zu dumm und dabei bin ich wirklich nicht apartig dumm, Herr Studer… Ich weiß, ich mache Fehler beim Schreiben, aber schließlich, Fehler beim Schreiben zu machen ist doch keine Sünde, oder? So hab' ich im Landwirtschaftsbetrieb mithelfen müssen. Mir hat es gefallen. Die Tiere mag ich gern, die Kühe, die Geißen, die Rosse. Dann haben sie mich endlich entlassen und ich suchte mir eine Stelle. Glaubt mir, Herr Studer, ich wollte nicht hoch hinaus: Mein Löhnli haben und meine Arbeit, sonst nichts, aber dann bin ich krank geworden – im Winter einmal – und es hat sich auf die Lunge geschlagen. Ich hab' Blut gespuckt, war immer müd', schwitzte in der Nacht – da hat mich der Doktor in eine Heilstätte geschickt. Zwei Jahre lang! Und wie ich zurückkam, hatte ich alles verlernt. Bei einem Bauern versuchte ich zu arbeiten, der jagte mich nach zwei Tagen: ich könne ja nichts!
    Da hat mich die Regierung nach Pfründisberg getan, in die Armenanstalt. Wißt Ihr, manchmal hab' ich gemeint, das sei ärger als Gefängnis. Der Direktor, vielmehr der Hausvater – er kann b'sunderbar guet Vorträg halte über Pau…

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