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Der Chinese

Der Chinese

Titel: Der Chinese Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedrich Glauser
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heraus, daß dieser feine Herr mein Onkel ist, der Bruder von meiner Mutter. Da durfte der Hungerlott natürlich nichts mehr sagen. Mein Onkel hat mir eine Stelle verschafft im Thurgau, mir Reisegeld gegeben und ich bin fortgefahren…«
    »Wär' ich doch nie fortgefahren!« seufzte das Knechtlein und rieb sich die Augen mit den Handballen.
    Studer räusperte sich: »Und's Huldi?« fragte er.
    »Ich habe Euch doch schon erklärt, Herr Studer, daß die Barbara mit dem Huldi in die gleiche Klasse gegangen ist…«
    »Und nun ist also das Huldi dein Schatz?« wollte der Wachtmeister wissen.
    Wieder stieg die Blutwelle von Hals über Kinn, Wangen, Schläfen in die Stirn, ganz verlegen murmelte das Knechtlein: »Der Onkel hätt' es nid ungärn gesehen, wenn wir geheiratet hätten.«
    Der Wachtmeister stand auf, erhob seine breite Hand und ließ sie auf den Rücken des Ludwig niederfallen.
    »Glücksbueb!« sagte er dann: »Es ist also abgemacht: Du hilfst mir bei der Aufklärung des Falles.«

»Pauperismus«
    Sie aßen zur Nacht, die beiden ungleichen Gefährten, Wachtmeister Studer, breitschultrig in seinem grauen Konfektionsanzug – Ludwig Farny in seinem halbleinenen Kleid von bäurischem Schnitt… Sie aßen Geschnetzeltes mit Röschti, und das Knechtlein vertilgte ungeheure Mengen Brot.
    »Du hütest das Zimmer, Ludwig«, sagte Studer, als die Serviertochter abgetragen hatte. »Ich muß noch einen Besuch machen. Du bist verantwortlich für dieses Zimmer. Du darfst niemanden hinein lassen. Verstanden?«
    »Ja, Studer«, sagte das Knechtlein und man sah es ihm an, daß es tapfer die Verteidigung übernehmen würde, die ihm aufgetragen worden war. Und Studer, der Wachtmeister, freute sich, weil der Ludwig »Studer« gesagt hatte und nicht »Herr«.
    Frost lag über dem Land und der Nebel hatte sich aufgelöst. Dünne Wolkenplatten zogen vorbei, bedeckten den Mond und gaben ihn wieder frei; klein war das Gestirn und grünlich wie eine unreife Zitrone – wahrhaftig, es ähnelte dem Monde jener Julinacht.
    Die Anstalt war ein ehemaliges Kloster, das für die Besitzlosen eingerichtet worden war. Dünne Eisdecken bedeckten die Pfützen der Straße, welche zum Armenhaus führten. Studer gelangte in einen Hof, in dem es finster war.
    Ein gepflasterter Weg führte zu einer Tür, über der eine rötlichglimmende Birne brannte. Der Wachtmeister trat ein – und lieber wäre er umgekehrt, denn der Geruch, der in diesem Vorraum hockte, verschlug ihm fast den Atem. Es roch nach Armut, es roch nach Unsauberkeit. Hinter einer Türe links war ein dumpfes Geräusch zu hören, Studer ging auf sie zu und öffnete sie, ohne anzuklopfen.
    Drei Stufen führten hinab in einen verliesartigen Raum, schirmlose Birnen baumelten von der Decke und beleuchteten Tische mit dicken Holzplatten, an denen Männer saßen in verschmierten blauen Überkleidern. Zwischen den Tischen ging ein Mann auf und ab – wohl der die Aufsicht führende Wärter. Unbemerkt trat Studer ein, schloß die Tür und blieb auf der zweitobersten Stufe stehen. Vor den Männern standen Gamellen und Blechteller. Es roch nach Cichorienkaffee und dünner Suppe. Noch ein anderer Geruch mischte sich darein: der Geruch nach feuchten Kleidern, nach Wäsche.
    Die Männer saßen da, die Unterarme auf die Tischplatte gelegt, als Wall gewissermaßen, der die mit Kaffee gefüllte Gamelle und den Teller mit Suppe schützen mußte. Manchmal geschah es, daß der von den Armen gebildete Wall sich auftat; eine Hand griff zum Nebenmann hinüber, um dort ein Stück Brot zu rauben. Dann flackerte Streit auf. Endlich erblickte der Friedensstifter des Wachtmeisters massige Gestalt, mit ein paar Sprüngen gelangte er zu den Stufen und fragte – krächzend war seine Stimme – was der Mann da wolle.
    – Er müsse den Hausvater sprechen, sagte Studer.
    – Da könne jeder kommen, meinte der Wärter. Schweigend zog Studer seine Legitimation aus der Tasche und hielt sie dem Mann unter die Nase.
    Es war merkwürdig, die Veränderung zu beobachten, die mit dem Wärter vor sich ging. Sein Mund zwang sich zu einem untertänigen Lächeln, ja, der Mann versuchte sogar, sein Krächzen freundlich zu gestalten, als er sagte:
    »Der Herr Direktor wird sich sicher freuen…« Er öffnete die Tür, um Studer den Vortritt zu lassen. Hinter ihm brach ein Hexensabbat aus… Einige grölten im Chore das Lied, das Studer vor fünf Monaten gehört hatte: »Wir wollen keine Tschucker auf dem Berg, Tschucker auf dem

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