Der Chinese
zusammengeschweißte Schmuck am Ringfinger – der Ring der verstorbenen Frau an den Ring des Witwers gelötet – und Herr Hungerlott spielte die ganze Zeit mit diesem Doppelring, der viel zu weit war für seinen mageren Finger. Da war zweitens der Spitzbart – die Wangen waren glatt rasiert und nur aus dem Kinn wucherten Haare von schmutzig graubrauner Farbe. Und da war drittens der merkwürdige Anzug des Herrn Hungerlott, der litewkaartige Rock mit der farbenprächtigen Krawatte, die nur von Zeit zu Zeit aufleuchtete… Viertens endlich: Der Hausvater sagte. ›Studer…‹ und nicht: ›Herr…‹ Eines aber war sicher sympathisch an dem Mann: er hörte sich gerne sprechen und da Wachtmeister Studer selbst lieber schwieg, hatte er gegen Leute, die sich gerne reden hörten, nichts einzuwenden. Er durfte dann ruhig in seinem Stuhle hocken, die Worte über sich rinnen lassen und in die Flammen starren…
Was aber, was zum Teufel, hatten die beiden Fußtritte zu bedeuten, mit denen ihn sein Freund, der Notar bedacht hatte? Studer schielte aus den Augenwinkeln zu Münch, aber dieser war viel zu sehr beschäftigt mit seinem allzu hohen Stehkragen, der sich an seiner Halshaut wetzte…
»Ich tue mein möglichstes«, dozierte Herr Hungerlott weiter, »aber ich stecke in einem Dilemma, aus dem ich keinen Ausweg finde: einesteils ist es meine Pflicht, als Hausvater einer Armenanstalt meinen Zöglingen die Liebe zur Arbeit beizubringen, sie zu überzeugen, daß sie nur durch Arbeit wieder ein geregeltes Leben werden führen können… Demgegenüber steht meine persönliche Überzeugung, mein Glauben fast, möchte ich sagen, daß die Armut gewissen Menschen vorbestimmt ist, daß sie ›in den Sternen geschrieben steht‹, und daß nichts ihren Lebenslauf ändern kann, keine Anstrengung, keine Arbeit, keine Pflichterfüllung!«
»An einer Darmgrippe ist Frau Hungerlott gestorben?« fragte Studer, starrte ins Feuer und würdigte Herrn Hungerlott keines Blickes.
Der dritte Fußtritt! Studer verzog keine Miene.
»An… ja… an… einer Darmgrippe… ganz richtig… an einer perniziösen Darmgrippe«, stotterte der Hausvater.
»Und hat James Farny ein Testament hinterlassen?« fragte Studer trocken.
Der Notar Münch faltete die Hände, sandte einen verzweifelten Blick gen Himmel, denn er verstand seinen Studer nicht mehr.
»Das heißt… wie meinen Sie das, Herr Studer? Natürlich hat der Ermordete ein Testament hinterlassen, das seine Verwandten bedenkt… Seine Schwester – meine Schwiegermutter hehe –, die in Bern mit einem düsteren Subjekt verheiratet ist.
… Nun, düsteres Subjekt ist vielleicht zu viel gesagt. Schließlich ist dieser Arnold Äbi mein Schwiegervater. Aber vor meiner Heirat mit der Anna hat die Armenbehörde zweimal den Antrag gemacht – der Äbi sollte versorgt werden. Ein Säufer ist er, früher war er Maurer, aber jetzt ist er ein wenig arbeitsscheu – das darf ich wohl sagen, obwohl ich ja mit ihm verwandt bin. Außer meiner Schwiegermutter kommt natürlich als Erbin meine Frau in Betracht. Sie ist jetzt tot und ich weiß nicht genau, was in diesem Falle geschehen wird. Auch der Bruder der Anna wird erben – Ernst heißt er und absolviert den Jahreskurs in der Gartenbauschule. Wozu ich bemerken muß, daß James Farny seinem Neffen den Kurs zahlte und ihn auch sonst mit Taschengeld versorgte; während meine Frau keinen Rappen – ich betone: keinen Rappen – von ihrem Onkel erhalten hat. Ich wollte daher meinen Freund Münch um Rat fragen: die Summen, die an diesen Ernst Äbi ausbezahlt worden sind, müssen selbstverständlich von der Erbschaft abgezogen werden, oder?… Außer diesen Personen ist noch jemand vorhanden, der den Namen Farny trägt: ein uneheliches Kind der Mutter Äbi, die mit ihrem Mädchennamen also Farny hieß und diesem Kinde natürlich diesen Namen gab. Wer der Vater war, weiß man nicht. Ob nun dieser Ludwig Farny ebenfalls erbberechtigt ist…«
»Er ist es«, knurrte Münch, aber der Hausvater stellte sich schwerhörig und fuhr fort.
»… Darüber muß natürlich das Gericht entscheiden. Ich werde, nach Rücksprache mit meinem Freunde Münch einen Fürsprech beauftragen, meine Interessen zu wahren…«
Studer stand auf, streckte sich und gähnte ungeniert. »Das wär alles für heut abend, Herr Hungerlott.« Und er betonte das Wort »Herr«, unterstrich es sogar mit einer Handbewegung. Er gab keinem der beiden die Hand, sondern schritt zur Tür. Im Vorzimmer
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