Der Chinese
offenbar einen Selbstmord vortäuschen wollen. Jedoch sei ein solcher unmöglich, da nicht nur die Kleider des Toten unversehrt und zugeknöpft gewesen seien, trotz des Herzschusses, sondern da auch, nach Meinung des Doktors Malapelle, der Schuß in einer Entfernung von mindestens vier Meter abgegeben worden sei…
»Erinnern Sie sich noch, Malapelle, an jenen Fall, der in Gerzenstein passiert ist – damals haben wir einander kennengelernt. Damals war es das genaue Gegenteil. Ein Selbstmord wäre möglich gewesen, weil der Witschi den Lauf der Waffe mit Zigarettenblättli vollgestopft hatte, um die Deflagrationsspuren zu verdecken. Und schließlich fand ich heraus, daß ein anderer von mindestens zwei Meter Entfernung auf den Toten geschossen hatte, während alle im Dorfe glaubten, es sei ein Selbstmord gewesen. Sogar der Untersuchungsrichter, der damals den Fall behandelt hat, meint dies heute noch, und außer Ihnen und mir, Dottore, weiß nur noch eine Frau, was in Wirklichkeit passiert ist.«
»Der Fall Witschi«, nickte der Italiener.
»Diesmal ist es noch ärger«, seufzte Studer. »Nicht nur ein Familienname endet mit einem i, sondern gleich drei. Äbi, Wottli, Farny… Farny hieß der Tote. Und Wottli ist Lehrer an einer Gartenbauschule, seine Mutter wohnt in Bern und das braune Papier, an dem Sie Arsen nachgewiesen haben, brauchte die Mutter, um ihrem Sohne darin wahrscheinlich Wäsche zu schicken. Warum kann man an diesem Papier, an diesem braunen Packpapier Arsenspuren nachweisen? Wenn Sie mir diese Frage beantworten könnten…«
»Pazienza! Geduld«, predigte Giuseppe Malapelle: dann wollte er wissen, was es mit dem Hahne und mit den Taschentüchern für eine Bewandtnis habe. Studer erzählte, was an diesem Morgen geschehen war.
»Vielleicht«, meinte darauf der Assistent des Gerichtsmedizinischen Institutes, »sind Sie ganz auf dem Holzweg, Ispettore. Sie dürfen eines nicht vergessen, daß der ganze Fall in der Nähe einer Gartenbauschule spielt.«
»Was hat eine Gartenbauschule mit Arsen zu tun?«
»Sehr viel. Erstens wird in solch einer Schule sicher ein Chemiekurs gegeben…«
»Ah!« sagte Studer erstaunt. »Stimmt. Der Wottli ist auch Chemielehrer, das hat mir der Direktor heut morgen gesagt…«
»Sehen Sie. Und zweitens wird den Schülern in solch einer Schule sicher beigebracht, wie man Ungeziefer an Pflanzen vernichtet. Die Mittel, die zur Schädlingsbekämpfung verwendet werden, sind allesamt giftig. Gegen Läuse braucht man Nikotin, und zur Raupenvernichtung Arsenpräparate. Vielleicht hat der Lehrer – wie nannten Sie ihn? Wotschli? Namen haben Sie in der Schweiz! – Wie? Ah, Wottli, gut; vielleicht hat der Lehrer Wottli das Paket irgendwo, im Magazin vielleicht, wo die Mittel zur Schädlingsbekämpfung aufbewahrt werden, geöffnet – das Papier ist mit einer solchen Materie in Berührung geraten – und daher haben wir den Marshschen Spiegel entdeckt. Verstanden? Ja?«
Studer nickte. Die Erklärung ließ sich verteidigen, vielleicht stimmte sie sogar – das einzige, was ihr widersprach: die Taschentücher der verstorbenen Frau Hungerlott. Diese waren sicher nicht mit einem Mittel zur Bekämpfung von Raupen in Berührung geraten. Der Wachtmeister widersprach daher dem Assistenten, und dieser zuckte mit den Achseln.
»Sie müssen weiter suchen, Ispettore; Sie müssen gehen und besuchen die Mutter Wottli und suchen nach der Mutter von Frau Direktor Hungerlott und Schüler Ernst Äbi, welcher gewesen ist der Bruder, nicht wahr?« Studer nickte. »Vielleicht finden Sie bei beiden Müttern Wichtiges. Hernach Sie müssen zurückfahren nach Fründisbergo, denn dort werden Sie finden die Lösung – wie damals, bei unserem ersten Fall. Da war Lösung auch im Dorf. Und vergessen Sie eine Zeitlang das A-Es…«
Während sich der Assistent draußen von Frau Hedwig verabschiedete, blieb Studer in seinem Lehnstuhl sitzen. Er hatte die Hand über die Augen gelegt, schlief aber nicht, sondern grübelte. Was bedeuteten wohl die Fußtritte, mit denen ihn sein Freund Münch bedacht hatte?
Zwei Mütter
Studer erhob sich und ging ins Schlafzimmer, denn das Telephon stand auf dem Nachttisch, neben seinem Bett. Er nahm den Hörer ab und stellte die Nummer des Postscheckbüros ein. Er mußte warten. Endlich, nach zehn Minuten, wurde ihm wieder angeläutet und er erfuhr, die Höhe des Depots von James Farny sei 6325 Fr. Allerhand… Von welcher Bank überwiesen? – Crédit Lyonnais.. .– Nun
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