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Der Chinese

Der Chinese

Titel: Der Chinese Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedrich Glauser
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andern. Sie sind also sicher, daß der Schlüssel Ihnen gehört, Herr Direktor? Ganz sicher? Wann haben Sie ihn zum letzten Male gebraucht?«
    »Das weiß ich nicht. Vor ein paar Tagen – vielleicht vor einer Woche… Ah, jetzt fällt mir's ein. Vor genau einer Woche, letzten Donnerstag, habe ich ihn dem Ernst Äbi gegeben. Er hat mir ihn erst am Sonntag zurückgegeben und behauptet, seine Vergeßlichkeit sei an dieser Verspätung schuld.«
    »Und der Ihre, Herr Lehrer?«
    »Der war immer in meiner Tasche.«
    »Warum nicht an Ihrem Schlüsselbund?«
    »Weil ich ihn hin und wieder auch den Schülern geben muß. Den von der Außentür braucht niemand, denn die bleibt immer offen, ausgenommen wenn Ferien sind.«
    »Ludwig«, rief Studer. Das Knechtlein hatte sich in einer dunklen Ecke verborgen. Nun kam es näher. »Erinnerst du dich noch, was für einen Schlüssel du innen im Schloß gesehen hast?«
    Schweigen. Ludwigs Augen wanderten von einem zum andern, Arnold Äbis Kopf erschien über der Schulter des Direktors, die Lider waren hochgeklappt… So starrte der Mann auf den Burschen.
    » Ich… i-i-ich weiß nicht… Er… er… schien mir alt… und rostig.«
    »Älter als der da?«
    »Der ist ja ganz neu!«
    »Schweig!« – »Halt's Maul!« – »Lügner!« – »Natürlich! So einer aus einer Korrektionsanstalt!«
    »Ruhig!« brüllte Studer. Dann meinte er boshaft lächelnd: »Merkwürdig, was doch ein einfacher Schlüssel für Aufregung hervorrufen kann…«
    Arnold Äbis Gesichtshaut war während des Schimpfens knallrot geworden – nach Studers Worten wurde sie bleich. Gerade dies konnte der Wachtmeister noch feststellen, dann versteckte sich der Kopf wieder hinter dem Rücken des Direktors. Auch die beiden anderen schienen zu merken, daß sie einen Fehler begangen hatten und nun stieg auch die Angst ihnen zu Kopf und veränderte ihre Züge.
    »Das ist nicht mehr auszuhalten, Wachtmeister; Ihr macht uns ganz nervös! Glaubt ihr, das sei angenehm für uns? Zuerst verdächtigt Ihr einen unserer Schüler, untersucht seinen Schaft, findet darin blutgetränkte Wäsche, so daß es klar scheint, daß der Bursche an einem Morde wenigstens mitbeteiligt ist, wenn er nicht selbst der Täter ist… Ihr reget den Ernst Äbi dermaßen auf, daß mein Schüler am Abend Selbstmord begeht – und was wollt Ihr wieder aus dieser Sache machen? Schon den ersten Fall habt Ihr, trotz der gegenteiligen Meinung unseres Arztes, als Mord hingestellt – ääh einen Mord daraus gemacht, will ich sagen. Und nun soll mein Schüler auch ermordet sein? Von wem? Ich habe selbst den Schlüssel gesehen, der innen im Schloß steckte. Es ist doch unmöglich, daß irgend jemand von außen die Türe absperrt, wenn der Schlüssel innen – ich wiederhole: innen! – im Schlosse steckt? Oder?«
    »Warum fehlt dann die Hohlzange?« fragte Studer, so leise, daß der Direktor sich vorbeugte und seine rechte Hand hinter die Ohrmuschel hielt. Der Wachtmeister wiederholte seine Frage ein wenig lauter.
    »Hohlzange? Wir haben doch keine Hohlzange! Und übrigens: Ihr könnt nicht beweisen, Herr Studer, daß irgendein anderer Schlüssel verwendet worden ist – oder wollt Ihr vielleicht behaupten, der Schlüssel, der am Boden lag, sei von irgend jemandem ausgewechselt worden? Gegen diese Behauptung kann ich Ihnen nur einwenden, daß nach meiner Ansicht die Sache klar liegt; Ernst Äbi hat mir den Schlüssel zurückgegeben und gesehen, wo ich ihn versorgt habe – was liegt näher, als daß der Bursche ihn heut abend aus meinem Schreibtisch geholt hat – um Selbstmord zu begehen?«
    Die Worte des Direktors waren kaum verklungen, da sah der Wachtmeister den Trinker wieder auftauchen. Direkt unter die Lampe stellte sich der Mann, verschränkte die Arme über der Brust und starrte Studer mit weitgeöffneten Augen an.
    Den Wachtmeister ergriffen Zweifel. Merkwürdig: Vater Äbi war anständig gekleidet; man sah, daß seine Frau auf Ordnung hielt… Der Anzug war zwar abgetragen, doch der Kragen des Kittels war nicht speckig, sondern ausgebürstet und das hellblaue Hemd sauber. Und doch… und doch… Der Mann hatte jetzt einen Ausdruck im Gesicht… Nicht höhnisch war er mehr, dennoch erinnerte er an Armenanstalt.
    Aber – jemand kann unsympathisch aussehen; dies ist jedoch noch kein Beweis, daß er seinen Sohn ermordet hat. Denn wollte man diesen Verdacht beweisen, müßte man annehmen, daß der Schlüssel vertauscht worden war. Von wem? Es brauchte nicht der

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