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Der Chinese

Der Chinese

Titel: Der Chinese Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedrich Glauser
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gekommen. Man müsse dem Schroter Angst machen, damit er fortgehe und den Ludwig in Ruhe lasse. »So war das, Wachtmeister. Darum haben wir getan, als wollten wir Euch angreifen…«
    Wie einfach die Geschichte war! Und wie mutig hatte sich doch der Bursche benommen, der nun tot im Treibhaus lag, bewacht von seinem Stiefbruder.
    Treibhaus… Was bedeutete der Plan der Heizung? Diesmal war es Amstein, der Antwort gab. Sein Bett, erzählte er, stehe im Schlafsaal gerade neben dem des verstorbenen Äbi. Es sei ihm aufgefallen, daß Äbi die letzte Zeit so schlecht geschlafen habe – oft sei er fast nächtelang wach gelegen und wenn er schließlich gegen Morgen Schlaf gefunden, habe er im Traum geredet. Immer und immer sei von Heizung die Rede gewesen. Heizung und Treibhaus. Ein paarmal sei der Ernst – Baumanns bester Freund – »Gell, Buuma?« – »G'wüß!« – der Ernst also am Abend aus der Arbeitsstunde gelaufen. Arbeitsstunde hätten sie hier in der Schule am Morgen von halb sieben bis zum Frühstück um halb acht (im Sommer früher) und am Abend von fünf bis halb sieben und von halb acht bis zehn Uhr. Er erwähne dies nur, um dem Wachtmeister die Sache klarzumachen… Da habe nun er (Amstein) von Baumann erfahren, daß Äbi manchmal fehle, und da Baumann ein Schüchterner sei, habe eben er einmal dem Äbi abgepaßt. Und was habe er entdeckt? Der Ernst sei mit seinem Vater draußen auf dem Friedhof zusammengetroffen. »Beide standen am Grab der vor vierzehn Tagen gestorbenen Frau Hungerlott. Nun wußt' ich ja, daß die Frau die Schwester des Ernst war. Nur verstand ich nicht, warum er seinen Vater gerade an dieser Stelle traf. Nachher gingen die beiden ins Treibhaus, ich blieb zuerst draußen stehen, ging dann hinein – da war keiner mehr da. Ich hörte sie aber unten in der Heizung miteinander flüstern. Verstehen konnt' ich nichts. Da hab ich mich wieder gedrückt. Merkwürdig war nur eins: Die Birne, die unten in der Heizung hängt, hat die ganze Nacht nicht gebrannt – und doch sah ich letzten Montag Licht dort unten. Es war um neun Uhr, der Äbi hatte diese Woche Dienst, mußte am Morgen den Rost putzen, am Abend Kohlen nachlegen für die Nacht… Ich glaubte dann, der Äbi habe eine Extrabirne, die er abschraube, wenn er die Heizung verlasse und durch eine andere – kaputte – ersetze. Warum er das aber gemacht hat, weiß ich nicht…«
    Zweite Entdeckung. Studer hütete sich, Notizen zu machen. Nichts stößt mehr ab, als ein pedantisches Aufschreiben – während man dies tut, kann man nicht aufblicken und verliert vollkommen den Zusammenhang mit den Menschen, denen man zuhört… Eine Zeitlang herrschte Schweigen. Alle Schüler hatten rote Köpfe, und ihre Augen funkelten.
    »Noch etwas?« Popingha, der Holländer mit der großen Brille, lachte kurz auf, nickte dann. – Er wisse schon noch etwas, doch glaube er nicht, daß es wichtig sei.
    »Nur erzählen!« Eigentlich wunderte sich Studer, daß er mit diesen unbekannten Schülern so gut auskam. Sie hätten ihn doch hassen sollen, weil er am Morgen den Schaft des Äbi durchsucht und ein »Corpus delicti« entdeckt hatte. Der Tod ihres Kameraden schien alle dermaßen erschüttert zu haben, daß sie aus sich herausgingen und helfen wollten…
    Popingha erzählte: – Früher habe er immer den Lehrer Wottli mit der Frau Anna Hungerlott spazieren gehen sehen und er würde wetten, daß die beiden ineinander verliebt gewesen seien.
    Studer wollte lächeln, er fühlte, wie seine Mundwinkel zu zittern begannen – aber plötzlich fröstelte er, obwohl es im Klassenzimmer erstickend heiß war. Es war ihm, als habe er das Ende des Fadens erwischt, als könne er jetzt den verfilzten, den verknoteten Strang aufdröseln.
    »Geht jetzt schlafen!« befahl er. »Und steigt ruhig die Treppe hinauf.« Die Schüler folgten ihm, er löschte die Lampen, wartete im zweiten Stock, bis alle im Bett lagen, löschte auch in den Schlafsälen die Lampen. »Guet Nacht, schlofet guet!« Als er das Haus verließ, war es dreiviertel eins. Das Gewächshaus war noch hell erleuchtet.

Funde in der Heizung
    Als Studer den Gang vor den beiden Treibräumen betrat, sah er Ludwig Farny vor dem Zementtisch stehen. Das Knechtlein schöpfte mit der Rechten Sand und ließ ihn in die Linke rinnen; dabei liefen ihm Tränen über die Backen.
    Der Wachtmeister trat neben ihn, klopfte ihm auf die Schulter und fragte: »Was isch los?«
    Stockend erzählte Ludwig, der Ernst habe immer zu ihm

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