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Der Chinese

Der Chinese

Titel: Der Chinese Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedrich Glauser
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aufmachen…« Studer wartete nicht länger, sondern drückte auf die Klinke.
    Im Klassenzimmer war es taghell, die vier Lampen, die von der Decke hingen, mußten wohl starke Birnen haben… Drei Reihen Pulte, an denen die Bänke befestigt waren. Gerade vor der offenen Tür ein breiter und langer Tisch für den Lehrer, an der Wand die schwarze Tafel mit einigen flüchtigen Kreidezeichnungen; der Plan eines Gebäudes – bei Gott, das war ja der Plan des Treibhauses! Daneben ein kleinerer Entwurf, der Studer neugierig machte.
    »Was habt ihr da gezeichnet?« fragte er und trommelte mit den Fingern auf die Tafel. Ein Chor, der aus wenigstens zehn Stimmen bestand, antwortete: »Die Heizung!« – »Welche Heizung?« – »Die vom Gewächshaus!«
    Natürlich! Die Burschen waren nicht dumm. Sie hatten an die Heizung gedacht – und ein geschulter Kriminalist mußte sich schämen, weil er diese wichtige Sache vergessen hatte. Studer fackelte nicht lange.
    »Ich brauche Sie nicht mehr, Herr Direktor!… Ich sehe, daß Sie übermüdet sind. Bitte, gehen Sie nur ruhig zu Bett. Mit den Schülern werd' ich schon fertig.« (Studer sprach leise, ganz nahe an Sack-Amherds Ohr und hielt die flache Hand neben seinen Mund.) »Ich übernehme die Verantwortung und bring sie dann hinauf in ihre Schlafräume.«
    »Guet, mynetwäge!« Der Direktor gähnte noch einmal herzhaft. So still war es im Raume, daß deutlich ein Klopfen zu hören war; es drang durch die Zimmerdecke. »Jaja… Meine Frau ruft mich. Sie macht sich gewiß Sorge. Also… Guet Nacht mitenand. Und: Machet nicht zuviel Lärm!«
    Leise drückte Herr Sack-Amherd die Türe von außen zu, seine Schritte verhallten. Im Klassenzimmer herrschte Schweigen… »So«, meinte Studer und zog seinen Mantel aus, »jetzt wollen wir zusammen die Untersuchung führen. Welcher hat vor unserem Eintritt mit dem Baumann gesprochen?«
    »Ich!« In der hintersten Bank, ganz oben, stand ein großer Kerl auf. Seine Haare funkelten rot und sein Gesicht war mit Sommersprossen übersät.
    »Wie heißest du?« – »Amstein Walter.« – »Also, Wälti. Ich glaub zwar, daß deine Lehrer dich nicht duzen – aber ich bin's so gewohnt. Macht's dir nichts aus?« –
    »Nein, gar nichts. Es ist mir sogar lieber!« Und der Rothaarige lachte. Er zeigte dabei eine Reihe schöner Zähne.
    »Was hast du gemeint, Wälti, wie du gesagt hast, du wissest über den Äbi besser Bescheid als die ganze Schule? Den Satz hab ich grad noch gehört.«
    »Siehst du, daß ich recht gehabt hab!« rief ein kleiner Braunhaariger dem Amstein zu. Er hatte den Kittel abgelegt und die Hemdsärmel aufgelitzt.
    »Bist du der Baumann?« fragte Studer.
    »Mhm«, nickte der Bursche. Die Muskeln am Ellbogen waren gespannt, er hatte das Kinn zwischen die geballten Hände gepreßt. »Ich kenn Euch, Wachtmeister. Am achtzehnten Juli war ich in der Sonne und sah, wie Euch die Armenhäusler vermöbeln wollten…«
    Studer hakte ein und fragte den Baumann aus. Was sei der Grund gewesen, damals? »Ich bin nicht recht nachgekommen. Schließlich war es wirklich ein Zufall, daß ich damals vergessen hab' zu tanken, und…« – Nun wurde er unterbrochen, von drei Schülern auf einmal: von Baumann, von Amstein und von einem Dritten, der fast weiße Haare hatte, wie ein Albino… Er trug eine Hornbrille auf der Nase, deren Gläser so stark geschliffen waren, daß die Augen dahinter ganz verzerrt aussahen… Popingha hieß er und sprach das Deutsche mit starkem holländischen Akzent. Er gebot seinen Kameraden Schweigen und erzählte folgendes: An jenem Abend sei der Äbi Ernst plötzlich hier, im Klassenzimmer, aufgetaucht und habe vier Mann gebraucht. Er (Popingha) und Amstein und Heinis und Vonzugarten seien mitgekommen und der Kamerad (›Kam'rat‹ sagte Popingha) habe ihnen auf dem Wege erzählt, sein Bruder – sein Stiefbruder – sei heute morgen angekommen. Früher habe ihn die Armenbehörde in der Anstalt versorgt, aber er sei geflohen mit einem Mädchen – zwar habe sich der Fremde, der Farny, seiner angenommen, aber bei Hungerlott wisse man ja nie, was der Mann vorhabe. Heut morgen sei er einverstanden gewesen, den Bruder wieder laufen zu lassen und habe dies auch dem Farny versprochen. Aber heut abend sei plötzlich ein Polizist aufgetaucht und vielleicht habe dieser die Absicht, den Bruder zu verhaften. Nun habe er ein paar Armenhäusler aufgetrieben, aber er brauche noch einige sichere Mithelfer und darum sei er die Kameraden holen

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