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Der Chinese

Der Chinese

Titel: Der Chinese Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedrich Glauser
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gewußt, daß der Onkel stets eine Waffe bei sich trage – wie es dem Mörder gelungen sei, sich dieser Waffe zu bemächtigen, sei ein anderes Rätsel, das wohl erst das Geständnis des Schuldigen lösen würde. Kurz, der Onkel sei hier in diesem Keller erschossen worden mit einer kleinkalibrigen Waffe, aber der große Revolver sei auch losgegangen – und zwar müsse man annehmen, daß nicht nur ein Mörder die Tat begangen habe, sondern daß mindestens ein Mitschuldiger anwesend gewesen sei. Dieser Mitschuldige sei ins Zimmer des Onkels gegangen und habe von dort ein Hemd, einen Anzug und einen Kragen mitgebracht. Im Keller sei die Leiche angezogen, auf den Friedhof getragen und auf das Grab der Anna Hungerlott gelegt worden. Ludwig müsse sich das lebhaft vorstellen: die Mörder hätten im Sinne gehabt, der Behörde glauben zu machen, es handle sich um einen Selbstmord aus Liebesgram; wobei ihnen ein Fehler unterlaufen sei: sie hätten nicht daran gedacht, daß Rock, Gilet und Hemd unverletzt geblieben seien. Übrigens habe der Statthalter sogleich festgestellt, daß ein Mann mit einer Kugel im Herzen unmöglich noch seine Kleider zuknöpfen könne…
    »Erster Fehler, Ludwig… Wenn die Mörder ein wenig nachgedacht hätten, wär' dieser Fehler zu vermeiden gewesen. Vom zweiten Fehler wollen wir nicht sprechen – ich meine den Schlüssel… Du bist müde und der Wachtmeister Studer ein Schwätzer. Wir wollen schlafen gehen, komm…« Sie stiegen die Treppe hinauf, Ludwig drehte den Schalter ab; der Gang war leer. Auf dem Torfhaufen, der auf der Zementplatte lag, standen noch die Runen, die Studer vor Stunden gezeichnet hatte. Er löschte sie aus und die Kühle tat seinem heißen Handballen wohl. An der Tür, die ins Freie führte, drehte Ludwig den letzten Schalter – nun lag das Glashaus dunkel da, einsam und ungestört schlief der Tote darin, und die beiden Lebenden gingen ihrer Schlafstätte zu, nachdem Studer auch die Außentür verschlossen hatte. Der Himmel schimmerte schwachsilbern, schon war der Mond untergegangen. Als Studer seine Taschenuhr zog, stellte er fest, daß Mitternacht seit zwei Stunden vorüber war.

Notar Münch macht einen nächtlichen Besuch
    Gutmütigkeit rächt sich bisweilen. Als Studer Ludwig Farny eingeladen hatte, mit ihm im gleichen Zimmer zu schlafen, wußte er nicht, daß der Bursche schnarchte. Erst am gestrigen Abend hatte er dies festgestellt und heute begann es von neuem. Kaum hatte der Wachtmeister das Licht gelöscht, begann es im Bette drüben zu stöhnen, zu sägen, zu feilen, zu schnaufen. Studer warf seinen Pantoffel hinüber, eine Minute blieb es still, dann begann der Lärm von neuem. Es flog der zweite Pantoffel, es flog der rechte Schuh, der linke dann, es flog die eine Ledergamasche, dann die andere… Länger als eine Minute blieb es drüben nie still. Seufzend wälzte sich Studer von einer Seite auf die andere, knirschte mit den Zähnen, begann zu zählen und memorierte laut das kleine Einmaleins… Ludwig schnarchte. Die Turmuhr der Gartenbauschule von Pfründisberg schlug halb drei, die grelle Glocke des Armenhauses gab ihr Antwort, es schlug dreiviertel, es schlug drei Uhr. Stöhnend zündete der Wachtmeister wieder das Licht an und begann die Zeitung zu Ende zu lesen.
    Die Läden des Fensters waren geschlossen, ihr grünes Holz schimmerte durch die Scheiben – das Licht im Zimmer störte das Knechtlein nicht. Plötzlich fuhr Studer auf. Es war ihm, als habe jemand an die Türe gepocht. Er wartete.
    Da sah er, daß die Klinke von draußen herabgedrückt wurde, jemand versuchte die Türe zu öffnen – Gott sei Dank, sie war verschlossen!
    Studer stand auf und schlich zur Tür. Er preßte sein Ohr an die Füllung und hörte nichts. Denn jedes Geräusch wurde von Ludwigs Schnarchen übertönt. Endlich fragte draußen eine leise Stimme: »Studer, bischt no wach?« Die Stimme des Notars Münch! Der Wachtmeister schob den Riegel zurück, drehte den Schlüssel im Schloß und ließ seinen Freund ein. – Er solle nicht so viel Krach machen, schärfte Studer dem Notar ein, es schlafe da einer im andern Bett, ein guter Bursche, der heute viel geleistet und seinen Schlaf verdient habe… Er schnarche zwar, aber schließlich sei niemand vollkommen!
    Während er so sprach, schlüpfte Studer ins Bett zurück, lud den Notar zum Sitzen ein – und Münch nahm die Einladung an. Er verlangte ein Kissen – die Mauer sei hart, behauptete er –, stopfte es sich in den

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