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Der Chinese

Der Chinese

Titel: Der Chinese Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henning Mankell
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brachliegende Land bearbeiten. Wir verjagen keine Menschen, wir füllen nur leere Räume, und alle werden von dem, was geschieht, Nutzen haben. Es gibt Länder in Afrika, besonders im Süden und Südosten, wo riesige Landstriche von den Armen aus unserem Land bevölkert werden können. Wir würden Afrika bebauen und besiedeln und gleichzeitig die Bedrohung eliminieren, die hier über uns schwebt. Wir wissen, dass wir auf Widerstand stoßen werden, nicht nur seitens der Umwelt, die vielleicht glaubt, dass China nach der Unterstützung des Befreiungskampfs gegen den Kolonialismus nun selbst zur Kolonialmacht wird. Wir werden auch innerhalb der Kommunistischen Partei Widerstand erfahren.
     
    Um den Gegensatz klarzustellen, halte ich diese Rede. Es wird so mancher Wille in den führenden Kreisen in unserem Land gebrochen werden. Sie, die heute hier versammelt sind, sind Träger der Vernunft und der Einsicht, die uns sagen, dass ein großer Teil der Bedrohung unserer Stabilität auf die von mir skizzierte Art und Weise eliminiert werden kann. Neue Gedanken stoßen immer auf Widerstand. Mao und Deng wussten dies besser als andere. Sie waren Brüder in dem Sinn, dass sie nie Angst vor dem Neuen hatten, sondern stets nach Auswegen im Namen der Solidarität suchten, um den Armen auf der Welt ein besseres Leben zu ermöglichen.«
     
    Yan Ba fuhr noch eine Stunde und vierzig Minuten fort mit seiner Darlegung der Politik Chinas in der nahen Zukunft. Als er schließlich verstummte, war er so erschöpft, dass seine Beine zitterten. Aber er wurde mit kräftigem Applaus belohnt. Als es wieder still wurde und das Licht im Saal anging, sah er auf seiner Uhr, dass der Beifall neunzehn Minuten gedauert hatte. Jetzt hatte er seinen Auftrag erfüllt.
     
    Er verließ das Podium auf dem gleichen Weg, auf dem er es betreten hatte, und eilte zu dem Wagen, der vor einer der Türen auf ihn wartete. Während der Fahrt zurück in die Universität versuchte er, sich die Diskussion vorzustellen, die seiner Rede folgte. Oder würden die Teilnehmer auseinandergehen? Jeder zu seinem eigenen Posten zurückkehren, um dort über die großen Ereignisse nachzudenken, die die chinesische Politik in den kommenden Jahren prägen sollten?
     
    Yan Ba wusste es nicht, und er empfand eine gewisse Leere bei dem Gedanken, dass er jetzt die Bühne verließ. Er hatte das Seine getan. Niemand würde in Zukunft je seinen Namen nennen, wenn die Historiker die umwälzenden Ereignisse betrachteten, die im Jahr zoo6 in China ihren Anfang genommen hatten. In der Legende würde vielleicht von einem Treffen die Rede sein, das im Gelben Kaiser abgehalten worden war, doch niemand würde genau wissen, was dort geschehen war. Die Teilnehmer des Treffens hatten strikte Anweisung erhalten, keinerlei Aufzeichnungen zu machen. Als Yan Ba in sein Büro kam, schloss er die Tür und schob seine Rede in den Aktenvernichter, der installiert worden war, als er seine geheime Arbeit begann. Als die Papiere in Streifen geschnitten waren, sammelte er sie und trug sie hinunter in den Heizkeller der Universität. Ein Hausmeister öffnete eine der Feuerluken. Er warf die Papierreste hinein und sah zu, wie sie zu Asche wurden.
     
    Dann war nichts mehr. Den Rest des Tages saß er versunken in die Arbeit an einem Artikel über die Auswirkungen der DNA-Forschung in der Zukunft. Er verließ das Büro um kurz nach sechs und fuhr nach Hause. Er fröstelte, als er zu dem neuen japanischen Wagen ging, Teil der Vergütung für den gehaltenen Vortrag.
     
    Der Winter war noch lange nicht zu Ende. Er sehnte sich nach dem Frühling.
     
    Am gleichen Abend stand Ya Ru am Fenster in seinem großen Büro im obersten Stockwerk des Hochhauses, dessen Besitzer er war. Er dachte an die Rede über die Zukunft, die er am Vormittag gehört hatte. Doch er grübelte nicht über den Inhalt nach, denn man hatte ihn im Voraus über die Strategien informiert, die im innersten Kern der Partei als Antwort auf die bevorstehenden großen Herausforderungen formuliert wurden. Dagegen war er verwundert gewesen, dass man seine Schwester Hong als Teilnehmerin eingeladen hatte. Auch wenn sie innerhalb der Kommunistischen Partei eine hohe Position als Beraterin der Entscheidungsträger bekleidete, hatte er nicht erwartet, sie dort zu treffen. Es gefiel ihm nicht. Er war überzeugt, dass Hong zu den Altkommunisten zählte, die von einer Neukolonisierung Afrikas sprechen und dagegen protestieren würden. Weil er selbst einer der

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