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Der Chinese

Der Chinese

Titel: Der Chinese Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henning Mankell
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während der Minister und ausgewählte Delegierte das Gespräch mit Präsident Mugabe und einer unbekannten Zahl seiner Minister fortsetzen.« Hong sah zu Ya Ru hinüber, der mit halbgeschlossenen Augen im Hintergrund des Konferenzraumes an einem Pfeiler lehnte. Aber Blickkontakt hatten sie erst beim Hinausgehen. Ya Ru lächelte ihr zu, ehe er in einem der Autos verschwand, die für Minister, Bürgermeister und ausgewählte Delegierte bestimmt waren.
     
    Hong setzte sich in einen wartenden Bus. Ya Ru hat einen Plan, dachte sie. Ich muss diesen Plan durchschauen. Ihre Angst wuchs ständig. Ich sollte mit jemandem sprechen, der meine Angst teilt. Sie sah sich im Bus um. Viele der älteren Delegierten kannte sie seit langer Zeit. Die meisten von ihnen teilten ihre Auffassung von der politischen Entwicklung in China. Aber sie sind müde, dachte sie. Sie sind so alt geworden, dass sie nicht mehr reagieren, wenn Gefahr droht. Sie sah sich weiter um, aber vergeblich. Es gab niemanden, bei dem sie das Gefühl hatte, sich ihm anvertrauen zu können. Nach dem Treffen mit Präsident Mugabe wollte sie die Teilnehmerliste durchsehen. Irgendwo musste es den Menschen geben, den sie suchte.
     
    Der Bus fuhr mit hoher Geschwindigkeit in Richtung Harare. Durchs Fenster sah Hong, wie die rote Erde um die Menschen an der Straße aufwirbelte.
     
    Plötzlich blieb der Bus stehen. Ein Mann auf der anderen Seite des Mittelgangs erklärte es ihr. »Wir dürfen nicht gleichzeitig ankommen«, sagte er. »Die Autos mit den wichtigsten Personen sollen einen gewissen Vorsprung haben. Dann kommen wir, das politische und wirtschaftliche Ballett, das den hübschen Hintergrund bildet.«
     
    Hong lächelte. Sie hatte den Namen des Mannes, der mit ihr sprach, vergessen. Aber sie wusste, dass er ein Physikprofessor war, der während der Kulturrevolution schwer gelitten hatte. Als er von seinem entbehrungsreichen Leben auf dem Lande zurückgekehrt war, hatte man ihn umgehend zum Leiter der Einrichtung bestimmt, die sich zu Chinas Raumforschungsinstitut entwickeln sollte. Hong ahnte, dass er in der Frage, welchen Weg China gehen musste, der gleichen Auffassung war wie sie. Er war einer der Alten, die noch lebendig waren, keiner von den Jungen, die nicht wussten, was es bedeutete, ein Leben zu leben, in dem es etwas Größeres gab als die eigene Person.
     
    Sie hatten unmittelbar an einem kleinen Marktplatz neben der Straße gehalten. Hong wusste, dass die Wirtschaft Zimbabwes vor dem Zusammenbruch stand. Das war einer der Gründe, weshalb die große Delegation hier war. Obwohl es nie öffentlich gemacht werden würde, hatte Präsident Mugabe die chinesische Regierung um Unterstützung bei der Überwindung der schweren wirtschaftlichen Depression Zimbabwes gebeten. Die Sanktionen der westlichen Welt hatten bewirkt, dass alle grundlegenden Strukturen vor dem Zusammenbruch standen. Nur wenige Tage vor der Abreise aus Peking hatte Hong in einer Zeitung gelesen, dass die Inflation in Zimbabwe inzwischen fünftausend Prozent betrug. Die Menschen am Straßenrand bewegten sich langsam. Hong kamen sie hungrig oder müde vor.
     
    Plötzlich wurde Hong auf eine Frau aufmerksam, die sich auf die Knie niederließ. Sie hatte ihr Kind auf den Rücken gebunden, und auf dem Kopf hatte sie einen Tragering aus zusammengefaltetem Stoff. Zwei Männer, die neben ihr standen, hoben einen schweren Zementsack hoch und packten ihn ihr auf den Kopf. Dann halfen sie ihr beim Aufstehen. Hong sah sie mit einknickenden Beinen die Straße entlangtaumeln.
     
    Ohne nachzudenken, stand sie auf und ging durch den Mittelgang nach vorn zur Dolmetscherin. »Ich möchte, dass Sie mit mir aussteigen.«
     
    Die junge Frau öffnete den Mund, um zu protestieren. Hong ließ sich nicht darauf ein. Der Chauffeur hatte die vordere Tür geöffnet, um Luft durch den Bus strömen zu lassen, in dem es schwül geworden war, weil die Klimaanlage nicht funktionierte. Hong zog die Dolmetscherin mit sich auf die andere Straßenseite, wo sich die beiden Männer inzwischen in den Schatten gesetzt hatten und zusammen eine Zigarette rauchten. Die Frau mit der schweren Last auf dem Kopf war schon im dunstigen Sonnenlicht verschwunden.
     
    »Fragen Sie, wie schwer der Sack war, den sie der Frau auf den Kopf geladen haben.«
     
    »Fünfzig Kilo«, antwortete die Dolmetscherin.
     
    »Das ist ein furchtbares Gewicht. Ihr Rücken wird ruiniert sein, bevor sie dreißig ist.« Die Männer lachten. »Wir sind

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