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Der Chinese

Der Chinese

Titel: Der Chinese Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henning Mankell
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ein Teil unserer Welt. Jetzt, wo die westlichen Mächte den Kontinent mehr und mehr sich selbst überlassen, muss China aus den Kulissen hervortreten. Ich ahne große Fortschritte für unser Vaterland.«
     
    »Und ich sehe, dass China sich immer mehr von seinen Idealen entfernt.«
     
    Ya Ru hob abwehrend die Hände. »Jetzt nicht, nicht mitten in der Nacht. Tief unter uns schläft die Welt. Vielleicht sind wir gerade über Vietnam, vielleicht auch schon weiter. Lass uns nicht streiten, lass uns schlafen. Was du fragen willst, kann warten. Oder willst du mich anklagen?«
     
    Ya Ru stand auf und verschwand auf der Treppe zur oberen Etage, die sich direkt hinter der Nase des Flugzeugs befand. Wir reisen nicht nur im selben Flugzeug, dachte sie. Wir haben auch unser Schlachtfeld mitgenommen, und der Kampf ist durchaus noch nicht entschieden.

 
    Sie schloss wieder die Augen. Es lässt sich nicht vermeiden, dachte sie. Der Augenblick rückt näher, der tiefe Riss zwischen ihm und mir wird sich nicht mehr verbergen lassen - und er darf nicht mehr verborgen bleiben. Ebenso wenig, wie der tiefe Riss quer durch die Kommunistische Partei verborgen werden kann oder darf. Der große und der kleine Kampf fallen zusammen.
     
    Endlich gelang es ihr einzuschlafen. Wenn sie nicht ausgeschlafen war, würde sie ihre Kräfte nie mit denen ihres Bruders messen können.
     
    Über ihr saß Ya Ru, hellwach, einen Drink in der Hand. Ihm war endgültig klar geworden, dass er seine Schwester Hong hasste. Sie musste weg. Sie gehörte nicht mehr zu der Familie, die er verehrte. Sie mischte sich in zu viele Dinge ein, die sie nichts angingen. Noch am Tag vor der Reise hatte er durch seine Beziehungen erfahren, dass Hong einen Staatsanwalt aufgesucht hatte, der Bestechungsfälle untersuchte. Dass er es war, über den sie gesprochen hatte, davon war er überzeugt.
     
    Außerdem hatte ihm sein Freund, der hohe Polizeibeamte Chan Bing, erzählt, dass Hong sich für eine schwedische Richterin interessiert habe, die in Peking gewesen war. Darüber wollte Ya Ru noch einmal mit Chan Bing sprechen, wenn er aus Afrika zurück war.
     
    Hong hatte ihm den Krieg erklärt. Sie würde ihn verlieren, noch ehe er richtig angefangen hatte.
     
    Ya Ru wunderte sich, dass er nicht im Geringsten daran zweifelte. Aber nichts sollte sich ihm in den Weg stellen. Nicht einmal seine liebe Schwester unter ihm, eingeschlossen im selben Flugzeugrumpf.
     
    Ya Ru legte sich auf seinem Sessel zurecht, der sich in ein Bett verwandeln ließ. Bald schlief auch er. Unter ihm lag der Indische Ozean. Die Küste Afrikas war noch in Dunkel eingeschlossen.
     
    Hong saß auf der Veranda des Bungalows, den sie während des Besuchs in Zimbabwe bewohnen sollte. Der kalte Winter von Peking lag hinter ihr, jetzt erlebte sie die warme afrikanische Nacht. Sie lauschte auf die Geräusche, die aus dem Dunkel zu ihr drangen, über allem das intensive Zirpen der Zikaden. Obwohl es warm war, trug sie eine Bluse mit langen Ärmeln, denn man hatte sie vor den Malariamücken gewarnt. Am liebsten hätte sie sich nackt ausgezogen, das Bett auf die Veranda geschoben und direkt unter dem Nachthimmel geschlafen. Noch nie hatte sie eine solche Hitze erlebt wie die, die ihr entgegengeschlagen war, als sie frühmorgens aus dem Flugzeug stieg. Es war wie eine Befreiung. Die Kälte legt uns Handschellen an, hatte sie gedacht. Die Wärme ist der Schlüssel, der uns befreit.
     
    Ihr Bungalow lag inmitten von Bäumen und Büschen in einem Dorf, das für die prominenten Gäste des Staates Zimbabwe errichtet worden war. Es war schon zu Zeiten von Ian Smith gebaut worden, als eine weiße Minorität im Lande einseitig die Unabhängigkeit von England proklamiert hatte, um in der früheren Kolonie eine rassistische weiße Regierung an der Macht zu halten. Damals hatte es nur ein großes Gästehaus mit Restaurant und Schwimmbecken gegeben. Ian Smith hatte die Gewohnheit, sich an bestimmten Wochenenden mit seinen Ministern zurückzuziehen, um über die großen Probleme zu diskutieren, mit denen der Staat in seiner zunehmenden Isolation konfrontiert wurde. Seit 1980, nachdem die weiße Regierung gestürzt worden und Robert Mugabe an die Macht gekommen war, hatte man das Gelände mit einer Reihe von Bungalows, Spazierwegen und einer langen Aussichtsplattform am Logo-Fluss ausgebaut; von hier aus konnte man Elefantenherden beobachten, die im Sonnenuntergang zur Tränke kamen.
     
    Ein Wächter war auf dem Pfad

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