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Der Chinese

Der Chinese

Titel: Der Chinese Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henning Mankell
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erinnerte sich, wie sie sie eines frühen Morgens in einem Aufenthaltsraum der Universität gefunden hatte. Ma Li hatte in einem Sessel geschlafen. Als sie aufwachte, waren sie miteinander ins Gespräch gekommen.
     
    Es schien von Anfang an bestimmt zu sein, dass sie Freundinnen sein würden. Hong konnte sich noch an eines ihrer ersten Gespräche erinnern. Ma Li hatte gesagt, es sei jetzt an der Zeit, mit dem »Bombardement des Hauptquartiers« aufzuhören. Das war eine Mahnung Maos an die Kulturrevolutionäre gewesen, auch die oberste Führungsschicht in der Kommunistischen Partei nicht von der notwendigen Kritik auszunehmen. Ma Li hatte gesagt, für sie sei es jetzt eher an der Zeit, »den Leerraum in meinem Gehirn zu bombardieren, all das fehlende Wissen, das ich bekämpfen muss«. Ma Li wurde zur Wirtschaftsanalytikerin ausgebildet und im Handelsministerium angestellt, wo sie der Gruppe von Finanzexperten zugeteilt wurde, die Tag und Nacht die Währungsbewegungen in der Welt überwachten. Hong selbst war Beraterin des Ministers für Innere Sicherheit geworden und sollte die Politik der höchsten militärischen Führung in Fragen der inneren und äußeren Verteidigung koordinieren, besonders im Hinblick auf die Sicherheit der politischen Führer. Hong hatte an Ma Lis Hochzeit teilgenommen, aber seit Ma Li Mutter zweier Kinder war, hatten sie sich nicht mehr regelmäßig gesehen.
     
    Jetzt waren sie sich wieder begegnet, an der Tür eines Busses hinter dem Palast Robert Mugabes. Auf der Rückfahrt zum Camp redeten sie ununterbrochen miteinander. Hong sah, dass Ma Li über das Wiedersehen mindestens ebenso froh war wie sie selbst. Als sie am Hotel ankamen, beschlossen sie, einen Spaziergang zur großen Aussichtsveranda am Fluss zu machen. Sie hatten heute keine vorgeschriebenen Aufgaben mehr. Am nächsten Tag sollte Ma Li eine Versuchsfarm besuchen, und Hong sollte bei den Victoriafällen mit einer Gruppe von Militärs aus Zimbabwe Gespräche führen. Es herrschte eine drückende Hitze, als sie zum Fluss hinuntergingen. In der Ferne sahen sie Blitze und hörten dumpfes Donnergrollen. Am Fluss entdeckten sie keine Tiere. Es war, als wäre die ganze Gegend plötzlich verlassen. Als Ma Li Hong am Arm fasste, zuckte sie zusammen. »Siehst du?« fragte Ma Li und zeigte auf dichtes Gebüsch am Flussufer. Hong sah in die Richtung, konnte aber keine Bewegung entdecken.
     
    »Hinter dem Baum, dessen Rinde die Elefanten abgeschält haben, dort bei dem Felsen, der wie ein Spieß aus der Erde ragt.«
     
    Jetzt konnte Hong ihn sehen. Der Schwanz des Löwen bewegte sich langsam, schlug auf die rote Erde. Augen und Mähne waren von Zeit zu Zeit zwischen den Blättern zu erkennen.
     
    »Du hast gute Augen«, sagte Hong.
     
    »Ich habe gelernt zu beobachten. Das Terrain könnte sonst gefährlich werden. Auch eine Stadt oder ein Versammlungsraum sind Landschaften, in denen es viele Fallen gibt. Wenn man nicht aufpasst, schnappen sie plötzlich zu.«
     
    Schweigend, fast andächtig sahen sie zu, wie der Löwe an den Fluss kam und Wasser schlürfte. Weiter draußen in der Mitte des Flusses waren die Köpfe einiger Flusspferde zu sehen. Ein Eisvogel, so farbenprächtig wie der, der auf Hongs Veranda gelandet war, ließ sich mit einer Libelle im Schnabel auf dem Geländer nieder.
     
    »Die Stille«, sagte Ma Li. »Ich sehne mich immer mehr danach, je älter ich werde. Vielleicht sind es die ersten Anzeichen des Alters? Niemand will im Lärm von Maschinen und Radioapparaten sterben. Wir bezahlen unseren Fortschritt mit dem großen Schweigen. Kann der Mensch eigentlich ohne diese Stille leben?«
     
    »Du hast recht«, sagte Hong. »Aber die unsichtbaren Gefahren für unser Leben. Wie gehen wir damit um?« 
    »Du denkst an Verschmutzung? Das Gift? Die Seuchen, die ständig mutieren und sich verändern?«
     
    »Der Weltgesundheitsorganisation zufolge ist Peking heute die schmutzigste Stadt der Welt. Kürzlich wurden 142 Mikrogramm Schmutzpartikel pro Kubikmeter Luft gemessen. In New York sind es 27, in Paris 22. Wir wissen, dass der Teufel sich immer in den Details bemerkbar macht.«
     
    »Denke an all die Menschen, die sich zum ersten Mal im Leben ein Moped kaufen können. Wie bringt man sie dazu, darauf zu verzichten?«
     
    »Indem man die Kontrolle der Partei über die Entwicklung verstärkt. Über das, was an Waren und was an Gedanken produziert wird.«
     
    Ma Li streichelte Hongs Wange. »Ich bin dankbar, wenn ich merke,

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