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Der Chinese

Der Chinese

Titel: Der Chinese Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henning Mankell
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nie die anderen, die die Brandbomben werfen und Menschen schlagen und verstümmeln. Mugabe sprach lange, aber er sprach gut. Hong dachte daran, dass dieser Mann jetzt über achtzig Jahre alt war. Wie so viele afrikanische Führer hatte er lange Zeit im Gefängnis verbracht, während die Kolonialmächte noch geglaubt hatten, Angriffe auf ihre Herrschaft abwehren zu können. Dass Zimbabwe ein korruptes Land war, wusste sie. Der Weg war immer noch weit. Aber Mugabe zu verurteilen, das war zu einfach. Die Wahrheit war komplexer.
     
    Hong sah Ya Ru am anderen Ende des Tisches sitzen, näher zum Handelsminister und dem Rednerpult, an dem Mugabe stand. Er führte einen Stift über seinen Notizblock. Das hatte er schon als Kind getan, als er Strichmännchen zeichnete, während er nachdachte oder zuhörte, meist kleine springende Teufel zwischen brennenden Feuern. Und trotzdem ist er es, der am genauesten zuhört, dachte Hong. Er saugt die Worte ein und bearbeitet sie, um die Möglichkeiten zu erkennen, sich bei den zukünftigen Geschäften, die der eigentliche Anlass dieser Reise sind, einen Vorsprung zu verschaffen. Welche Rohstoffe brauchen wir, welche besitzt Zimbabwe? Wie können wir sie möglichst billig bekommen? Als die Versammlung beendet war und Präsident Mugabe den großen Saal verlassen hatte, begegneten sich Ya Ru und Hong an der Tür. Der Bruder hatte dort gestanden und auf sie gewartet. Sie nahmen sich beide einen Teller mit belegten Broten von einem langen Tisch. Während Ya Ru Wein trank, begnügte sich Hong mit einem Glas Wasser.
     
    »Warum schickst du mir mitten in der Nacht einen Brief?« »Ich hatte das zwingende Gefühl, dass es sehr wichtig ist. Da konnte ich nicht warten.« »Der Mann, der an meine Tür geklopft hat, wusste, dass ich wach bin. Woher?«
     
    Ya Ru hob erstaunt die Augenbrauen.
     
    »Man klopft anders, wenn man weiß, dass die Person hinter der Tür schläft.« Ya Ru nickte. »Meine Schwester ist sehr schlau.« 
    »Vergiss auch nicht, dass ich im Dunkeln sehen kann. Ich
     
    habe heute Nacht lange auf der Veranda gesessen. Im Mondlicht waren Gesichter zu erkennen.«
     
    »Heute Nacht war doch kein Mondschein?«
     
    »Die Sterne senden ein Licht aus, das ich verstärken kann. Sternenlicht kann zu Mondlicht werden.« Ya Ru sah sie nachdenklich an. »Bist du dabei, deine Kräfte mit mir zu messen? Tust du das?«
     
    »Du nicht?«
     
    »Wir müssen miteinander sprechen. In der Stille. In Ruhe. Hier finden große Umwälzungen statt. Wir sind mit einer großen, aber friedlichen Armada nach Afrika gekommen. Jetzt sind wir dabei, an Land zu gehen.«
     
    »Ich habe heute zwei Männer gesehen, die einer Frau einen Fünfzig-Kilo-Sack Zement auf den Kopf packten. Meine Frage an dich ist sehr einfach. Was wollen wir mit der Armada erreichen? Wollen wir der Frau helfen, damit ihre Last leichter wird? Oder gehören wir zu denen, die ihr Säcke auf den Kopf packen?«
     
    »Eine wichtige Frage, die ich gern diskutieren will. Aber nicht jetzt. Der Präsident wartet.«
     
    »Nicht auf mich.«
     
    »Bleibe heute Abend auf der Veranda. Wenn ich bis Mitternacht nicht an deine Tür geklopft habe, kannst du schlafen gehen. Dann komme ich nicht mehr.«
     
    Ya Ru stellte sein Glas ab und ließ sie mit einem Lächeln allein. Hong war bei dem kurzen Gespräch in Schweiß geraten. Jemand kündigte an, dass der Bus in dreißig Minuten abfahren werde. Hong füllte ihren Teller noch einmal mit kleinen belegten Broten. Als sie satt war, ging sie auf die Rückseite des Palastes, wo der Bus wartete. Es war sehr heiß, die Strahlen der Sonne wurden von der weißen Mauer des Palastes reflektiert. Sie setzte ihre Sonnenbrille und einen weißen Hut auf, den sie in ihrer Tasche hatte. Sie wollte gerade in den Bus steigen, als jemand sie ansprach.
     
    Sie drehte sich um. »Ma Li? Du hier?«
     
    »Ich bin als Ersatz für den alten Tsu mitgekommen. Er hatte einen Herzinfarkt. Da haben sie mich geholt. Deshalb stehe ich nicht auf der Teilnehmerliste.«
     
    »Heute Morgen auf der Fahrt hierher habe ich dich nicht gesehen.«
     
    »Ich bin streng darauf aufmerksam gemacht worden, dass ich mich entgegen dem Protokoll in ein Auto gesetzt habe. Nun bin ich da, wohin ich gehöre.«
     
    Hong streckte ihre Hände aus und ergriff Ma Lis Handgelenke. Sie war genau diejenige, auf die sie gewartet hatte, eine, mit der sie sprechen konnte. Sie war mit Ma Li seit dem Studium nach der Kulturrevolution befreundet. Hong

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