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Der Chinese

Der Chinese

Titel: Der Chinese Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henning Mankell
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kosten würde, sie zu retten, wenn es überhaupt möglich war. Sie hatte verschiedentlich im Zorn von den verbrecherischen Beamten gesprochen, die eigentlich dafür verantwortlich waren, solche Vergehen gegen Mensch und Natur zu verhindern, die aber ihre Pflichten gegen Schmiergelder verkauften.
     
    Ya Ru ist ein Teil von alledem, dachte sie. Das darf ich nie vergessen.
     
    Hong schlief leicht und wachte in der Nacht oft auf. Die Geräusche in der Dunkelheit waren fremd, drangen in ihre Träume ein und zogen sie an die Oberfläche. Als die Sonne über dem Horizont aufstieg, war sie bereits aufgestanden und angekleidet.
     
    Plötzlich stand Ya Ru vor ihr. Er lächelte. »Wir sind beide früh auf den Beinen. Keiner von uns hat Geduld genug, um mehr zu schlafen als absolut notwendig.«
     
    »Es tut mir leid, dass ich dich geschlagen habe.«
     
    Ya Ru zuckte die Schultern und zeigte auf einen grünlackierten Jeep, der auf der Straße neben den Zelten stand. »Der ist für dich«, sagte er. »Ein Chauffeur wird dich an einen Ort fahren, der nur ein paar Meilen von hier entfernt ist. Dort wirst du ein seltsames Schauspiel sehen, das sich in der Dämmerung bei jedem Wasserloch zeigt. Für einen kurzen Augenblick schließen Raubtiere und Beutetiere Frieden, nämlich dann, wenn sie trinken.«
     
    Ein Schwarzer stand neben dem Auto. »Er heißt Arturo«, sagte Ya Ru. »Ein Chauffeur, dem du vertrauen kannst, er spricht auch Englisch.« »Danke für die Fürsorge«, sagte Hong. »Aber wir sollten reden.«
     
    Ya Ru wischte ihre letzten Worte ungeduldig beiseite. »Reden können wir später. Die afrikanische Dämmerung ist kurz. Kaffee und Frühstück befinden sich in einem Korb.« Hong hatte das Gefühl, Ya Ru suche einen Weg zur Versöhnung. Was am Tag zuvor passiert war, sollte nicht zwischen ihnen stehen. Sie ging zum Auto, begrüßte den Chauffeur, einen mageren Mann mittleren Alters, und setzte sich auf den Rücksitz. Der Weg, der sich durch den Busch schlängelte, war kaum mehr als eine Spur in dem trockenen Boden. Hong achtete auf die dornigen Zweige der niedrigen Bäume, die in den offenen Wagen schlugen.
     
    Als sie ankamen, hielt Arturo auf einer Anhöhe direkt oberhalb des Wasserlochs und reichte ihr ein Fernglas. Am Wasser standen Hyänen und Büffel und tranken. Arturo machte sie auf eine Elefantenherde aufmerksam. Die grauen Tiere näherten sich langsam dem Wasserloch, als kämen sie direkt aus der Sonne.
     
    So müsste es zu Anbeginn der Zeiten gewesen sein, dachte Hong. Hier waren die Tiere in einer unendlichen Reihe von Generationen gekommen und gegangen.
     
    Arturo reichte ihr eine Tasse Kaffee, ohne etwas zu sagen. Die Elefanten kamen näher, Staub wirbelte um ihre mächtigen Körper.
     
    Dann zersprang die Stille.
     
    Arturo starb als Erster. Der Schuss traf ihn in die Schläfe und riss ihm den halben Kopf weg. Hong hatte nicht Zeit genug zu begreifen, was geschah, ehe auch sie von einem Schuss getroffen wurde, der in ihren Kiefer einschlug, dann von einem zweiten, der ihr Rückgrat zertrümmerte. Bei dem trockenen Knallen hoben die Tiere kurz den Kopf und lauschten. Dann wandten sie sich wieder der Tränke zu.
     
    Ya Ru und Liu kamen an den Jeep und wälzten ihn mit vereinten Kräften den Hang hinunter. Liu goss einen Kanister Benzin über den Wagen. Er trat zur Seite und warf eine brennende Streichholzschachtel auf den Jeep, der mit einer Explosion in Flammen aufging. Die Tiere am Wasser sprangen davon.
     
    Ya Ru hatte bei seinem eigenen Jeep gewartet. Der Leibwächter setzte sich hinein, bereit, den Motor zu starten. Ya Ru schlich sich hinter ihn und schlug ihm mit einem eisernen Totschläger schwer ins Genick. Er schlug so lange, bis Liu sich nicht mehr rührte. Dann stieß er den Körper des Leibwächters in das Feuer, das immer noch lichterloh brannte. Ya Ru fuhr das Auto in die dichte Buschvegetation und wartete. Nach einer halben Stunde kehrte er zum Camp zurück und schlug Alarm. Am Wasserloch habe sich ein Autounfall ereignet, der Jeep sei über die Felskante gefahren, hinuntergestürzt und beim Wasserloch in Flammen aufgegangen. Seine Schwester sei zusammen mit dem Chauffeur verbrannt. Als Liu versucht habe, ihnen zu helfen, sei er selbst in den Flammen umgekommen.
     
    Alle, die Ya Ru an diesem Tag erlebten, erzählten, wie erschüttert er gewesen sei. Aber gleichzeitig waren sie erstaunt über seine Fähigkeit, sich zu beherrschen. Er ließ nicht zu, dass das Unglück ihre wichtige

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