Der Chinese
rasende Zauberin darstellte?«
Hong dachte nach. Die Frau war kräftig gewesen, aber doch rhythmisch in ihren Bewegungen. »Sie tanzte wild und mit viel Kraft.«
»Jemand hat mir erzählt, sie sei sehr krank und werde bald sterben.«
»Woran?«
»An einer Blutkrankheit. Kein Aids, vielleicht haben sie von Krebs gesprochen. Sie sagten auch, sie tanze, um sich Mut für den Kampf zu machen. Der Tanz ist ihr Lebens
kampf. Sie hält den Tod auf.«
»Trotzdem wird sie sterben.«
»Wie der Stein, nicht wie die Feder.«
Wieder Mao, dachte Hong. Vielleicht kommt er öfter in Ya Rus Gedanken von der Zukunft vor, als ich glaubte. Er ist sich bewusst, dass er einer neuen Elite angehört, weit entfernt von dem Volk, das er zu repräsentieren und zu schützen glaubt.
»Was wird das alles kosten?« fragte sie.
»Dieses Lager? Die Reise? Was meinst du?«
»Vier Millionen Menschen aus China in ein afrikanisches Tal mit einem breiten Fluss umzusiedeln. Und dann vielleicht zehn oder zwanzig oder hundert Millionen unserer ärmsten Bauern in andere Länder auf diesem Kontinent.« »Auf kurze Sicht sehr viel Geld. Auf lange Sicht gar nichts.« »Ich vermute«, sagte Hong, »dass alles schon vorbereitet ist. Die Auswahlprozesse, die Transporte mit einer Armada von Schiffen, einfache Häuser, die die Neusiedler selbst aufbauen müssen, Lebensmittel, Werkzeug, Geschäfte, Schulen, Krankenhäuser. Sind die Verträge zwischen den beiden Ländern schon aufgesetzt und unterschrieben? Was erhält Mosambik? Was bekommen wir, außer dem Recht, eine Anzahl unserer armen Bauern in ein anderes armes Land zu verfrachten? Was geschieht, wenn sich diese große Umsiedlung als Fehlschlag erweist? Womit haltet ihr Mosambik unter Druck? Was ist es, was ich nicht weiß? Was steckt hinter alledem, abgesehen davon, dass man sich ein Problem vom Halse schafft, das in China außer Kontrolle zu geraten droht? Wohin willst du mit all den anderen Millionen Menschen, die gegen die jetzige Ordnung revoltieren werden?«
»Mir ging es darum, dass du es mit eigenen Augen siehst. Gebrauche deine Vernunft und verstehe die Notwendigkeit, das Tal des Sambesi zu bevölkern. Unsere Brüder werden hier einen Überschuss produzieren, der exportiert werden kann.«
»Du stellst alles so dar, als wäre es eine Wohltat unsererseits, wenn wir unsere armen Bauern hierherschleppen. Ich glaube, wir gehen einfach nur in den Spuren, die die Imperialisten schon immer gegangen sind. Die Kolonien unter Druck gesetzt, der Profit an uns. Ein neuer Markt für unsere Waren, eine Methode, den Kapitalismus erträglicher zu machen. Das, Ya Ru, ist die Wahrheit hinter all den schönen Worten. Ich weiß, dass wir ein neues Finanzministerium für Mosambik gebaut haben. Wir nennen es ein Geschenk, aber ich nenne es Schmiergeld. Ich habe auch gehört, dass die chinesischen Vorarbeiter die einheimischen Arbeiter geschlagen haben, wenn sie nicht hart genug arbeiteten. Das wurde natürlich verschwiegen. Aber ich schäme mich, wenn ich so etwas höre. Und ich bekomme Angst. Wir kreisen in Afrika ein Land nach dem anderen ein, um unsere eigene Entwicklung zu befördern. Ich glaube dir nicht, Ya Ru.«
»Du wirst langsam alt, Schwester Hong. Und wie alle Al ten hast du Angst vor dem Neuen, das sich Bahn bricht. Du witterst Verschwörungen gegen alte Ideale, wohin du auch blickst. Du glaubst, für den richtigen Weg zu stehen, während du in Wirklichkeit anfängst, das zu werden, wovor du am meisten Angst hast: ein konservativer Mensch, ein Reaktionär.«
Hong beugte sich rasch vor und schlug ihm ins Gesicht. Ya Ru zuckte zusammen und sah sie verblüfft an. »Jetzt gehst du zu weit. Ich lasse mich nicht von dir beleidigen. Wir können miteinander reden, können uneins sein. Aber auf mich losgehen, das tust du nicht noch einmal.«
Ya Ru stand ohne ein weiteres Wort auf und verschwand im Dunkel. Niemand sonst schien das Ereignis bemerkt zu haben. Hong hatte es schon bereut. Sie hätte Geduld haben und die richtigen Worte finden müssen, hätte hartnäckig ihren Versuch fortsetzen müssen, um Ya Ru zu erklären, dass er im Irrtum war.
Ya Ru kam nicht zurück. Sie ging zu ihrem Zelt. Petroleumlampen leuchteten draußen und unter dem Zeltdach. Ihr Mückennetz war aufgespannt, das Bett bereit für die Nacht. Hong setzte sich vor das Zelt. Der Abend war schwül. Ya Rus Zelt war leer. Dass er sich für die Ohrfeige rächen würde, war
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