Der Chinese
Licht wieder aus. Es klingelte erneut. Sie sprang auf und griff zum Telefon auf dem Schreibtisch.
»Birgitta Roslin? Es tut mir leid, dass ich so spät noch anrufe. Hören Sie, wer mit Ihnen spricht?« Sie kannte die Stimme, konnte ihr aber nicht gleich ein Gesicht zuordnen. Es war ein Mann, ein älterer Mann.
»Nein, nicht richtig.«
»Sture Hermansson.«
»Kenne ich Sie?«
»Kennen wäre vielleicht zu viel gesagt. Aber Sie haben vor einigen Monaten in Hudiksvall mein kleines Hotel besucht, Hotel Eden.«
»Dann weiß ich Bescheid.«
»Es tut mir leid, dass ich so spät anrufe.«
»Das haben Sie schon gesagt. Ich nehme an, Sie haben einen Grund?« »Er ist zurückgekommen.«
Sture Hermansson hatte die Stimme zu einem Flüstern gesenkt, als er die letzten Worte aussprach.
Im gleichen Moment wusste sie, was er meinte. »Der Chinese?«
»Genau der.«
»Sind Sie sicher?«
»Er ist vor einer Weile angekommen. Er hat nicht im Voraus gebucht. Ich habe ihm gerade den Schlüssel gegeben. Er ist jetzt in seinem Zimmer. Nummer 12. Genau wie beim letzten Mal.«
»Sind Sie sicher, dass er es ist?« »Den Film haben Sie ja. Aber ich meine, dass es dieselbe Person ist. Zumindest benutzt er denselben Namen.« Birgitta Roslin überlegte, was sie tun sollte. Das Herz hämmerte in ihrer Brust. Sie wurde in ihren Gedanken von Sture Hermansson unterbrochen. »Da ist noch etwas.«
»Was denn?«
»Er hat nach Ihnen gefragt.«
Birgitta Roslin hielt den Atem an. Die Angst schlug mit voller Kraft zu. »Das ist nicht möglich.«
»Mein Englisch ist schlecht. Wenn ich ehrlich sein soll, dauerte es etwas, bis ich verstanden hatte, nach wem er fragte. Der Name hörte sich an wie ›Birgitta Loslin.« »Was haben Sie ihm geantwortet?«
»Dass Sie in Helsingborg leben. Er schien erstaunt zu sein. Ich glaube, er hatte damit gerechnet, Sie wären aus Hudiksvall.«
»Was haben Sie noch gesagt?«
»Ich habe ihm Ihre Adresse gegeben, weil Sie sie bei mir hinterlassen und mich gebeten haben, Sie zu informieren, falls etwas passierte. Und das kann man jetzt ja wohl sagen.« Verflixter Kerl, dachte Birgitta Roslin. Sie fühlte, wie die Panik in ihr aufstieg. »Tun Sie mir einen Gefallen«, sagte sie. »Rufen Sie mich an, wenn er das Hotel verlässt. Auch mitten in der Nacht. Rufen Sie an.« »Ich nehme an, Sie möchten, dass ich ihn grüße und ihm
sage, dass ich Kontakt mit Ihnen aufgenommen habe?« »Es wäre gut, wenn Sie das nicht täten.«
»Dann tu ich das. Ich sage nichts.«
Das Gespräch war vorüber. Birgitta Roslin begriff nicht, was geschah.
Hong war tot. Aber der Mann mit dem roten Band war zurückgekommen.
Nach einer schlaflosen Nacht rief Birgitta Roslin kurz vor sieben Uhr das Hotel Eden an. Es klingelte endlos lange, aber niemand nahm ab.
In der Nacht hatte sie versucht, ihre Angst unter Kontrolle zu bekommen. Wenn Ho nicht aus London gekommen wäre und berichtet hätte, dass Hong tot war, hätte sie auf Sture Hermanssons nächtlichen Anruf nicht so heftig reagiert. Dass er sich in der Nacht nicht wieder gemeldet hatte, deutete sie als Zeichen dafür, dass nichts weiter passiert war. Der chinesische Mann schlief noch.
Sie wartete noch eine halbe Stunde. Sie hatte sich auf ein paar verhandlungsfreie Tage eingerichtet, an denen sie liegengebliebene Papierarbeit erledigen und sich mit der Bemessung des Strafmaßes für die vier Vietnamesen und der endgültigen Formulierung des Urteils befassen wollte. Das Telefon klingelte. Es war Staffan. »Wir machen einen Ausflug«, sagte er. »Über die Berge, hinunter in die Täler? An den schönen Blumenpfaden entlang?«
»Mit dem Schiff. Wir haben Plätze auf einem großen Segelschiff gebucht, das aufs offene Meer segelt. Es ist möglich, dass wir dort draußen für zwei Tage nicht mit dem Handy telefonieren können und nicht erreichbar sind.«
»Wohin wollt ihr?«
»Wir haben kein Ziel. Es war die Idee der Kinder. Wir haben als unqualifizierte Besatzung zusammen mit dem Kapitän, einem Koch und zwei erfahrenen Matrosen angeheuert.« »Wann fahrt ihr los?«
»Wir sind schon auf dem Meer. Es ist herrliches Wetter. Nur leider noch kein Wind.« »Gibt es Rettungsboote? Habt ihr Schwimmwesten?« »Jetzt unterschätzt du uns. Wünsch uns eine schöne Zeit.
Wenn du willst, bringe ich dir Salzwasser in einem Einmachglas mit.«
Die Verbindung
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