Der Chinese
aufgewacht war und das Ganze mit ansah. Er stöhnte auf, als er begriff, was vor sich ging.
»Es ist besser, du machst die Augen wieder zu«, sagte San. »Ich will nicht, dass du wieder krank wirst. Von dem, was hier passiert, kann man leicht ein tödliches Fieber bekommen.«
Als die Seeleute mit Sun Na fertig waren, rührte sie sich nicht mehr. Einer der Seeleute knotete ihr eine Schlinge um den Hals und zog den nackten Körper an einem Mast hoch. Ihre Beine zuckten, sie versuchte, sich mit den Händen an dem Seil hochzuziehen, aber ihre Kraft reichte nicht aus. Schließlich hing sie reglos an dem Seil. Dann warfen sie sie über Bord. Sie wickelten sie nicht einmal in Segeltuch ein. San konnte nicht verhindern, dass ein verzweifeltes Murren über seine Lippen kam.
Einer der Seeleute hörte das Geräusch. »Vermisst du deine Liebste?« fragte er. San hatte Angst, ebenfalls über Bord geworfen zu werden. »Ich habe keine Liebste«, sagte er. »Sie hat uns die Flaute geschickt. Und sie hat auch den Kapitän verhext, so dass er starb. Jetzt ist sie weg. Nun wird es wieder Wind geben.«
»Dann war es ganz richtig, sie über Bord zu werfen.« Der Seemann beugte sich zu ihm hinunter. »Du hast Angst«, sagte er. »Du hast Angst, und du lügst. Aber du brauchst nicht zu fürchten, dass wir dich über Bord werfen. Was du denkst, weiß ich nicht. Aber vermutlich würdest du mich kastrieren, wenn du es könntest. Nicht nur mich, sondern alle hier an Bord. Ein Mann, der an einen Mast gekettet ist, hat kaum die gleichen Gedanken wie ich.«
Er grinste und ging weg. Die weißen Fetzen, die einmal Sun Nas Kleidung gewesen waren, warf er San zu. »Der Geruch steckt noch drin«, rief er. »Der Geruch von Frau und der von Tod.«
San wickelte den Stoff zusammen und stopfte ihn unter sein Hemd. Jetzt hatte er den Daumenknochen eines toten Mannes und ein schmutziges Stück Stoff aus der letzten schrecklichen Stunde im Leben einer jungen Frau. Schwerere Lasten hatte er nie getragen.
Guo Si sprach nicht über das, was geschehen war. San machte sich mit dem Gedanken vertraut, dass sie vielleicht niemals den Punkt erreichten, wo das Meer zu Ende war und etwas anderes, Unbekanntes begann. Manchmal träumte er, dass ihm jemand, der kein Gesicht hatte, Haut und Fleisch vom Körper kratzte und die Fetzen großen Vögeln zuwarf. Dass er immer noch an den Mast gekettet war, erschien ihm nach dem Traum wie eine wunderbare Befreiung. Sie segelten jetzt lange Zeit mit gutem Wind. Eines Morgens, gleich nach der Dämmerung, hörte er laute Rufe des Ausgucks, der auf einer kleinen Plattform auf dem Vorschiff stand.
Auch Guo Si wachte davon auf. »Warum ruft er?« fragte Guo Si.
»Ich glaube, das Unvorstellbare ist geschehen«, antwortete San und nahm seine Hand. »Ich glaube, sie sehen Land.« Es war wie ein dunkler Streifen, der über den Wellen hing. Dann sahen sie es wachsen, Land, das sich aus dem Wasser erhob.
Zwei Tage später liefen sie in eine langgestreckte Bucht ein, wo sich Dampfschiffe mit qualmenden Schornsteinen und Segelschiffe wie ihres auf der Reede und an langen Kais drängten. Alle wurden an Deck geholt. Wasser wurde in großen Kübeln hochgezogen, sie bekamen Seifenstücke und wuschen sich unter Aufsicht der Seeleute. Jetzt wurde niemand mehr geschlagen. Wenn sich jemand nicht ordentlich säuberte, rieben die Seeleute den Widerstrebenden selbst ein. Alle wurden rasiert und bekamen mehr zu essen als während der Reise. Als alle Vorbereitungen beendet waren, wurden die Fußketten durch Handfesseln ersetzt.
Das Schiff lag noch draußen auf der Reede. San und Guo Si standen mit den anderen in einer Reihe und sahen über den ausgedehnten Hafen. Aber die Stadt auf den Hügeln war nicht groß. San dachte zurück an Kanton. Diese Stadt hier war nichts im Vergleich zu der, die hinter ihnen lag. War es wirklich wahr, dass der Grund der Flüsse in diesem Land mit Goldsand bedeckt war?
Am Abend kamen zwei Barkassen und legten in Lee an. Eine Strickleiter wurde heruntergelassen. San und Guo Si gehörten zu den Letzten, die hinuntergeleitet wurden. Die Seeleute, die sie in Empfang nahmen, waren alle weiß. Sie trugen Barte und rochen nach Schweiß, einige waren auch betrunken. Sie waren ungeduldig und gaben Guo Si, der sich langsam bewegte, einen Stoß. Die Boote hatten Schornsteine, die schwarzen Rauch ausstießen. San sah das Schiff mit all den Kerben, die er in den Mast geritzt hatte,
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