Der Chinese
und sagte nicht viel. Sie kam aus einem Dorf, dessen Namen San nie gehört hatte. Aber als sie die Landschaft und die besondere Farbe des Wassers in dem Fluss in der Nähe ihres Dorfes beschrieb, verstand er, dass es nicht weit von Wei Hei entfernt sein konnte.
Ihre Gespräche waren kurz, als hätte sie immer nur die Kraft für wenige Worte. Auch flüsterten sie nur abends miteinander. Tagsüber saß sie unter der Wolldecke und verbarg sich vor den Blicken aller.
Das Schiff segelte weiter nach Osten. San ritzte seine Kerben in den Mast. Er konnte sehen, dass es den Männern, die die Nächte unter Deck verbrachten, durch die stickige Luft und die Enge immer schlechter ging. Zwei von ihnen waren schon heraufgetragen, in zerlumpte Segelsäcke gewickelt und über Bord geworfen worden, ohne dass jemand ein Wort gesagt oder sich auch nur vor dem Meer verbeugt hätte, das den Toten aufnahm. Der Tod hatte das eigentliche Kommando an Bord. Er bestimmte über die Winde, die Strömungen, die Wellen und darüber, wer aus dem stinkenden Laderaum heraufgebracht wurde.
Er selbst hatte nun die Aufgabe, über die scheue Sun Na zu wachen und ihr am Abend ein paar tröstende Worte zuzuflüstern, den Mund nahe an ihrem Kopf.
Einige Tage später wurde wieder ein Toter aus dem Laderaum an Deck gebracht. Guo Si und San konnten nicht sehen, wer da über Bord geworfen wurde.
Aber einer der Seeleute kam zu ihnen an den Mast, als die Leiche verschwunden war. Er hielt ein zusammengefaltetes Stückchen Stoff in der Hand. »Er wollte, dass du das bekommst.«
»Wer?«
»Ich weiß nicht, wie er hieß.«
San nahm den Fetzen entgegen. Als er ihn aufmachte, lag ein abgetrennter Daumen darin. Es war also Liu, der gestorben war. Als er gespürt hatte, dass seine Zeit zu Ende ging, hatte er sich den Daumen abgeschnitten und den Seemann dafür bezahlt, dass er ihn San gab.
San fühlte sich geehrt. Er hatte einen der größten Vertrauensbeweise erhalten, den ein Mensch einem anderen geben konnte. Liu glaubte, San würde eines Tages nach China zurückkehren.
San betrachtete den Daumen und begann dann, die Haut und das Fleisch abzulösen, indem er ihn an der Kette scheuerte, mit der sein Fuß gefesselt war. Er vermied es, Guo Si sehen zu lassen, was er tat.
Er brauchte zwei Tage, um den Knochen freizulegen. Dann wusch er ihn in Regenwasser und steckte ihn in einen Saum seines Hemdes. Er würde den Auftrag erfüllen, auch wenn der Seemann das für ihn bestimmte Geld genommen hatte. Zwei Tage später starb noch ein Mann. Aber dieses Mal wurde der Körper nicht aus dem Laderaum geholt. Der Mann, der starb, war kein anderer als der Kapitän. San hatte viel darüber nachgedacht, dass das Land, zu dem er fuhr, von diesen seltsam bleichen Männern bevölkert war. Er hatte gesehen, wie der Mann plötzlich zusammengezuckt war, als hätte ihn der Schlag einer unsichtbaren Faust getroffen. Er war umgefallen und hatte sich nicht mehr gerührt. Die Seeleute kamen von allen Seiten herbeigelaufen und schrien und fluchten, aber vergeblich. Am nächsten Tag verschwand auch der Kapitän im Meer. Aber sein Körper war in eine Flagge mit Streifen und Sternen eingewickelt.
Beim Tod des Kapitäns hatten sie wieder in einer anhaltenden Flaute festgelegen. Die Ungeduld der Besatzung schien sich in Unruhe und Angst zu verwandeln. Einige Seeleute meinten, ein böser Geist habe den Kapitän getötet und die Winde einschlafen lassen. Es bestand die Gefahr, dass Proviant und Wasser nicht ausreichten. Manchmal kam es zu Streit und Schlägereien. Unter dem Kapitän war so etwas sofort bestraft worden. Der Steuermann, der ihn nun vertrat, schien nicht seine Autorität und Entschlossenheit zu besitzen. San beschlich ein Unbehagen angesichts der unruhigen Stimmung an Bord. Er ritzte weiter seine Kerben in den Mast. Wie viel Zeit war vergangen? Wie groß war dieses Meer, das sie so mühsam überquerten?
Eines Abends während der Flaute, als San am Mast schlief, tauchten ein paar Seeleute aus dem Dunkel auf und machten das Seil los, mit dem Sun Na festgebunden war. Einer presste ihr einen Stofffetzen auf den Mund, damit sie nicht schreien konnte. Entsetzt sah San, wie sie sie zur Reling zerrten, ihr die Kleider vom Leib rissen und sie vergewaltigten. Immer mehr Seeleute tauchten aus dem Dunkel auf, und jeder wartete, bis er an der Reihe war. San musste zusehen, ohne etwas tun zu können.
Plötzlich bemerkte er, dass Guo Si
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