Der Chinese
wollten.
Elgstrand hatte gelächelt. »Ich bin gewiss gutgläubig«, sagte er. »Aber so schlimm ist es doch nicht.«
Die Ruderer brauchten drei Stunden, um das Schiff zu erreichen und neben ihm anzulegen. Elgstrand und San kletterten das Fallreep hinauf. Ein kahlköpfiger Kapitän mit Namen John Dunn empfing sie. Er betrachtete die Ruderer äußerst misstrauisch. Dann sah er San mit der gleichen Missbilligung an und gab einen Kommentar ab, den San nicht verstand. Elgstrand schüttelte den Kopf und erklärte San, Kapitän Dunn habe für Chinesen nicht viel übrig. »Er hält euch allesamt für Diebe und Betrüger«, sagte Elgstrand und lachte. »Irgendwann wird er begreifen, wie sehr er sich irrt.« Dunn und Elgstrand verschwanden in der Kajüte des Kapitäns.
Kurz darauf kam Elgstrand mit einer Ledertasche zurück, die er San demonstrativ überreichte. »Kapitän Dunn hält mich für verrückt, dass ich dir vertraue. Es ist traurig zu sehen, dass Kapitän Dunn eine sehr schlichte Person ist und wahrscheinlich viel von Schiffen, Wind und Meer, aber nichts von Menschen versteht.«
Sie kletterten zu den Ruderern hinunter und fuhren zurück. Es war dunkel, als sie ankamen. San bezahlte den Anführer der Rudermannschaft. Als sie durch die dunklen Gassen gingen, war San unwohl zumute. Er musste an den Abend in Kanton denken, als Zi ihn und seine Brüder in die Falle gelockt hatte. Aber es geschah nichts. Elgstrand verschwand mit der Tasche in seinem Büro.
San verriegelte das Tor und weckte die Nachtwache, die außen an der Mauer eingeschlafen war. »Du wirst bezahlt, um zu wachen«, sagte er. »Nicht um zu schlafen.«
Er sagte es freundlich, obwohl er wusste, dass der Wächter faul war und bald wieder einschlafen würde. Aber der Mann musste viele Kinder versorgen und hatte eine Frau, die sich mit kochendem Wasser verbrüht hatte, seit Jahren bettlägerig war und oft vor Schmerzen schrie.
Ich bin ein Vorarbeiter, der auf der Erde steht, dachte San. Ich sitze nicht hoch zu Pferde wie JA. Außerdem schlafe ich wie ein Wachhund, ein Auge offen.
Er verließ das Tor und ging zu seinem Zimmer. Unterwegs sah er, dass in dem Raum, in dem die Dienstmädchen schliefen, Licht brannte. Er runzelte die Stirn. Es war verboten, bei Nacht Kerzen brennen zu lassen, da die Brandgefahr zu groß war. Er trat an das Fenster und sah vorsichtig durch einen Spalt in der dünnen Gardine hinein. In dem Zimmer befanden sich drei Frauen. Eine von ihnen, das älteste Dienstmädchen des Hauses, schlief, während Qi und ein anderes Mädchen namens Na auf dem Bett saßen, das sie miteinander teilten, und sich unterhielten. Auf ihrem Tisch stand eine Leuchte. Da der Abend warm war, hatte Qi ihre Leibwäsche über der Brust aufgeknöpft. Wie verhext betrachtete San ihren Körper. Er konnte ihre Stimmen nicht hören und vermutete, dass sie flüsterten, um die schlafende Frau nicht zu wecken.
Plötzlich wandte Qi das Gesicht zum Fenster. San zuckte zusammen. Hatte sie ihn gesehen? Er zog sich ins Dunkel zurück und wartete. Aber Qi zog die Gardine nicht zu. San trat wieder an das Fenster und blieb dort stehen, bis Na das Licht ausblies und der Raum im Dunkeln lag.
San rührte sich nicht. Einer der Hunde, die nachts auf dem Hof umherliefen, um Diebe fernzuhalten, kam zu ihm und schnüffelte an seiner Hand. »Ich bin kein Räuber«, flüsterte San. »Ich bin ein gewöhnlicher Mann, der eine Frau begehrt, die vielleicht eines Tages meine sein wird.«
Von da an versuchte San, Qi näherzukommen. Er tat es vorsichtig, um sie nicht zu erschrecken. Auch wollte er nicht, dass sein Interesse für sie den anderen Dienstboten allzu deutlich wurde. Der Neid entzündete sich leicht und breitete sich schnell unter ihnen aus.
Es dauerte lange, bis Qi die vorsichtigen Zeichen verstand, die San ihr sandte. Sie begannen sich im Dunkel vor ihrem Zimmer zu treffen, nachdem Na versprochen hatte, nichts zu sagen. Dafür hatte sie ein Paar Schuhe bekommen. Schließlich, nach fast einem halben Jahr, verbrachte Qi auch manche Nacht in Sans Zimmer. Wenn sie beieinanderlagen, empfand San eine Freude, die all die quälenden Schatten und Erinnerungen vertrieb, die ihn sonst umgaben.
Für San und Qi gab es keinen Zweifel, dass sie ihr Leben zusammen verbringen würden.
San beschloss, mit Elgstrand und Lodin zu sprechen und um Erlaubnis zu bitten, sich zu verheiraten. Er suchte die beiden Missionare eines Morgens nach
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