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Der Chinese

Der Chinese

Titel: Der Chinese Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henning Mankell
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sein, wenn wir die große christliche Gemeinschaft aufbauen, von der wir träumen.« San schwieg lange, ehe er antwortete. Als er seinen Entschluss gefasst hatte, stand er auf und verbeugte sich zweimal tief vor den Missionaren.
     
    Er wollte mit ihnen gehen. Vielleicht würde er eines Tages zu der Einsicht kommen, die Guo Sis letzte Tage vergoldet hatte.
     
    Am 12. September 1867 ging San in Kanton wieder an Land. In seinem Stoffsack hatte er die Fußknochen seines toten Bruders und die Daumenknochen eines Mannes namens Liu. Das war es, was er von der langen Reise mitbrachte. Auf dem Kai sah er sich um. Suchte er nach Zi oder Wu? Er konnte sich die Frage selbst nicht beantworten.
     
    Zwei Tage später begleitete er die beiden schwedischen Missionare auf einem Flussboot zur Stadt Fuzhou. San betrachtete die Landschaft, die langsam vorüberglitt. Er suchte einen Ort, an dem er die Reste von Guo Si begraben konnte. Das wollte er allein tun. Es war eine Sache zwischen ihm, seinen Eltern und den Geistern seiner Vorfahren. Elgstrand und Lodin würden es vermutlich nicht schätzen, dass er weiterhin die alten Traditionen befolgte.
     
    Das Flussboot glitt langsam nach Norden. An den Ufern quakten Frösche. San war zu Hause.
    Eines Abends im Herbst 1868 setzte sich San an einen kleinen Tisch, auf dem eine Kerze brannte. Er bildete mühsam die ersten Schriftzeichen, die zu einem Bericht über sein und das Leben seiner beiden toten Brüder werden sollten. Fünf Jahre waren vergangen, seit Guo Si und er von Zi entführt worden waren, und ein Jahr war es her, seit er mit Guo Sis Fuß in einem Sack nach Kanton zurückgekehrt war. Im vergangenen Jahr hatte er Elgstrand und Lodin nach Fuzhou begleitet, war ihr stets gegenwärtiger Diener gewesen und hatte von einem Lehrer, den Lodin für ihn gefunden hatte, das Schreiben gelernt.
     
    An diesem Abend blies ein harter Wind um das Haus, in dem San sein Zimmer hatte. Mit der Feder in der Hand lauschte er den Geräuschen und fühlte sich wieder auf einem der Schiffe, mit denen er gefahren war.
     
    Erst allmählich begann er, den Umfang all dessen, was geschehen war, zu verstehen. Er versuchte, sich an die Einzelheiten zu erinnern und nichts zu überspringen. Wenn ihm Zeichen oder Worte fehlten, konnte er sich an seinen Lehrer Pei wenden. Aber Pei hatte ihn ermahnt, nicht zu lange zu warten, denn er spürte, dass die Erde seinen Schüler zog, der nicht mehr lange leben würde.
     
    Eine Frage hatte San begleitet, seit sie nach Fuzhou gekommen waren und sich in einem von Elgstrand und Lodin gekauften Haus niedergelassen hatten. Wem sollte er seine Geschichte erzählen? In sein Dorf würde er nicht zurückkehren, und andere Menschen, die wussten, wer er war, gab es nicht. Trotzdem wollte er schreiben. Wenn es stimmte, dass es einen Schöpfer gab, der über die Lebenden und Toten herrschte, würde er wohl auch dafür sorgen, dass Sans Bericht in die Hände eines Menschen gelangte, der ihn lesen wollte. San arbeitete langsam und mühsam, während der Wind an den Wänden rüttelte. Er schaukelte ein wenig hin und her auf seinem Hocker in diesem Zimmer, dessen Boden sich unter seinen Füßen zu bewegen schien. Auf dem Tisch hatte er verschiedene Stapel Papiere verteilt. Wie ein Krebs auf dem Grund des Flusses wollte er sich zu dem Punkt zurückbewegen, als er seine Eltern am Seil hatte hängen sehen. Aber er wollte mit der Fahrt zu dem Ort anfangen, an dem er sich jetzt befand. Diese Seereise lag zeitlich am nächsten und war in seiner Erinnerung am klarsten.
     
    Elgstrand und Lodin waren froh und erschrocken zugleich gewesen, als sie in Kanton an Land gegangen waren. Das chaotische Gewimmel der Menschen, fremde Gerüche und das Unvermögen, den speziellen hakka-Dialekt der Stadt zu verstehen, machte sie unsicher. Sie wurden von einem schwedischen Missionar namens Tomas Hamberg erwartet. Der Schwede arbeitete für eine deutsche Bibelgesellschaft, die sich mit der Verbreitung chinesischer Übersetzungen der Bibel befasste. Hamberg begrüßte sie herzlich und ließ sie in dem Haus der deutschen Gesellschaft wohnen, in dem er sein Büro und seine Wohnung hatte. San begleitete sie als der schweigende Diener, der er sein wollte. Er dirigierte die Arbeiter, die das Gepäck tragen sollten, machte die Wäsche für die Missionare, wartete ihnen zu jeder Tageszeit auf. Während er sich im Hintergrund hielt, nahm er alles auf, was gesagt wurde. Hamberg sprach besser Chinesisch als Elgstrand und

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